Für Interessenten eine bis vier  PREDIGT(en)                        

(Es ist nicht auszuschließen, dass ich auch mal den einen oder anderen Gedanken "übernommen" habe, ohne dies in jedem Fall ausdrücklich zu benennen.)  

Am 31. März 2014 endete mein Dienst im Pfarrsprengel Thale - 

seit dem 1. April 2014 bin ich Beauftragte für Springerdienste im Kirchenkreis Halberstadt.

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Gottesdienste  4. nach Trinitatis 13. Juli 2025

9.30 Uhr Hausneindorf – 11 Uhr Emersleben

 

Evangelium = Predigttext:                Lukas 5; 1 – 11

Neue Möglichkeiten zu leben kommen von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, der für uns maßgeblich ist. Amen.

Liebe Gemeinde,

ich weiß nicht, mit welchen Erwartungen Sie in einen Gottesdienst kommen – ob Ihnen die Atmosphäre und die Musik wichtig sind – ob Sie Nachdenkenswertes hören möchten – oder Gemeinschaft mit anderen suchen - was Ihnen wichtig ist an einer Predigt.

Mir ergeht es so, dass ich mir Ermutigung erhoffe – gegen alles, was mutlos, traurig oder wütend macht – dass ich mit mehr Lebensfreude gehen kann als ich gekommen bin.

Das Evangelium ist für mich so ein Beispiel – eine Erzählung, die Mut macht.

Dabei enthält sie ziemlich viel Unwahrscheinliches – Kinder könnten sagen: Das ist ja ein Märchen. Erwachsene würden sagen: Das ist Anglerlatein. Viel zu schön, um wahr zu sein.

Nur der Anfang klingt realistisch: Petrus hat zusammen mit seinen Freunden die ganze Nacht hart gearbeitet – und am Ende blieb ihm nichts. Kein Fang, kein Erfolg, kein Geld – alles vergeblich.

Solche Klagen höre ich oft und ich kenne sie auch von mir. Ich habe mir Mühe gegeben, aber es wurde nichts daraus. Ich habe Besuche gemacht und geredet, aber keiner hat richtig zugehört. Ich wollte etwas Gutes bewirken und wurde völlig missverstanden.

Ich kenne Kinder, die geben sich Mühe und lernen für eine Klassenarbeit - aber: Manchen fällt es eben schwer und außerdem haben die Lehrer die falschen Fragen gestellt – nichts.

Oder Eltern haben Kinder erzogen mit viel Aufwand und Einsatz und vielen Hoffnungen – nun sind sie groß und weit weg und lassen sich nicht mehr sehen. Alles vergeblich?

Erwachsene haben neue Berufschancen erprobt und sind gescheitert – berufliche und menschliche Enttäuschungen sind heute eher an der Tagesordnung als Erfolgsmeldungen.

Jemand hat Verantwortung übernommen in der Kirchengemeinde, aber niemand sagt „danke“ und es sieht nicht gut aus: Zu wenig Leute, zu wenig Geld ...

Damals saß Petrus am Morgen da und flickte die Netze wieder zusammen. Sie müssen gewaschen und gereinigt werden, damit es in der nächsten Nacht weitergehen kann. Und da kommt Jesus – ein ihm bis dahin unbekannter Mann. Der bittet darum, auf den See hinausgerudert zu werden.

Ich kann mir vorstellen, dass Petrus dazu keine rechte Lust hatte – schließlich war er müde und wäre sicher lieber schlafen gegangen, um sich von den Anstrengungen und der Enttäuschung zu erholen.

Doch er ist ein offenbar gutmütiger Mensch, also tut er dem Fremden den Gefallen – und hört zu, wie Jesus predigt, was er den Menschen am Ufer zu sagen hat.

Doch was dann kommt, geht ihm nun wirklich zu weit: Wirf deine Netze noch einmal aus, sagt Jesus – und das widerspricht allen Fischer – Erfahrungen: Nachts müssen die Netze im Wasser sein und nicht am Tage.

Und an dieser Stelle geschieht für mich das eigentliche Wunder dieser Geschichte: Petrus fasst Vertrauen – wider alle eigenen Erfahrungen sagt er: Auf dein Wort hin will ich es tun.

Auf dein Wort hin! Für mich ist das ein ganz starker Satz. Ich denke an Situationen, wo einer nicht mehr weiter weiß und weiter kann und dann kommt ein anderer und sagt ganz überzeugend: Versuche es doch noch einmal – es wird dir schon gelingen.

Mir fallen Kinder ein, die etwas Neues üben sollen – laufen – sich selbst anziehen – später schreiben und rechnen und was weiß ich noch alles – und manchen fällt es eben schwer. Dann ist es gut, wenn einer da ist und Mut macht:

Versuchs noch mal, du kannst es! (Schwimmen und Valentin!) – Meist hilft das weiter – genauso wie das Gegenteil Lernen verhindert – wenn gesagt wird: Der/die schafft das sowieso nicht.

Das geht auch Erwachsenen so – dass sie enttäuscht sagen: Ich kann das nicht – das wird doch nichts - 

und auch dann hilft es, wenn der Richtige kommt und sagt: Ich traue dir das zu – versuch´s noch mal. Und notfalls noch mal und noch mal.

Einander Mut machen in schwierigen Situationen – das gehört zu dem, was wichtig ist in einer Gemeinde und für jedes Miteinander. Vor allem, wenn es nicht nur um Dinge und Sachen, sondern um Menschen geht.

Wenn es heißt: Aus dem da wird nichts – oder: Um die lohnt es sich nicht –

dann ist besonders wichtig, dass jemand eingreift und einlädt und verlockt: Versuche es doch noch mal.

Oder jemand hat eine Aufgabe übernommen und dann kommen skeptische Stimmen und Selbstzweifel: Kann ich das überhaupt? Werde ich es packen? Sind dann andere da, die sagen: Na klar, ich traue dir das zu!

Von Jesus wissen wir, dass er so mit Menschen umgegangen ist – auch mit denen, die von anderen längst aufgegeben worden waren – mit den schwierigen und ungeliebten – auch mit denen, die nicht besonders klug oder tapfer oder schön und bedeutsam waren.

Petrus war kein besonderer Mensch – er ist auch nach dieser Begegnung am Ufer kein Heiliger geworden und kein Held. Er hat Jesus vertraut – und das hat sein Leben verändert – weil sein Vertrauen diesmal nicht enttäuscht wurde.

Lasse ich mich von Jesus aus meinem Alltagstrott herauslocken? Habe ich den Mut, mich für Veränderungen einzusetzen – in den Gemeinden, in den Kommunen, in der Gesellschaft – für mehr Gerechtigkeit – für diejenigen, die unter die Räder geraten – die nicht mithalten können, weil sie keine Beziehungen haben oder keine Kraft mehr?

Vielen – zu vielen – ist der Mut dazu vergangen – weil es ja doch nichts nützt. So ist es oft. Immer wieder erweisen Wege sich als Sackgassen und das tut weh.

Der Dichter Hemingway erzählt in seinem berühmtesten Buch von einem Fischer, allein auf dem Meer, hinter sich ein langes Leben; immer mit der vergeblichen Hoffnung auf den großen Fang seines Lebens. Doch als ihm der Riesenfisch ins Netz geht, wird der Erfolg von Raubfischen zunichte gemacht. Eine große Geschichte, die mit Hoffnung beginnt und mit Enttäuschung endet. Eine Geschichte, die mir bekannt vorkommt - und zu der unser Predigttext das Gegenstück ist.

Der Arzt Lukas hat die Geschichte von Jesus und Petrus und dem guten Fang sehr einladend erzählt. Er lädt ein zum Vertrauen – er ist selbst ein Menschenfischer – kein Bauernfänger – er nimmt die Menschen ernst und macht ihnen nichts vor.

So beginnt es. Die ersten Nachfolger werden aus ihrem Alltag herausgerufen. Jesus begegnet da, wo nichts mehr erwartet wird und nichts mehr zu holen scheint. Er lädt ein zum Vertrauen in seine Worte und Werte - damit das Leben neu werden kann.

Es ist schwer, immer neue Anfänge zu wagen. Zu oft enden derartige Versuche wie der bei Hemingways altem Mann auf dem Meer.

Petrus hat seinen Zweifel ausgesprochen - und dann hat er Vertrauen gewagt. Jesus braucht heute genauso wie damals Nachfolgerinnen und Nachfolger.  Er wollte Gerechtigkeit und Frieden für alle. Auch für diejenigen, die mitten unter uns unter die Räder geraten. Sie brauchen den Beistand von Menschen, die sich von schlechten Erfahrungen nicht ihre Hoffnungen nehmen lassen.

Ich möchte aus dieser biblischen Erzählung lernen: Wenn ich mal wieder denke, es bringt nichts mehr und es lohnt nicht mehr und es nützt auch gar nichts und ich kann das nicht und werde es auch nicht lernen

– dann möchte ich mich an Petrus erinnern – oder an ihn erinnert werden - der in aussichtslos scheinender Situation gesagt hat: Auf dein Wort hin, Herr, will ich es versuchen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, als alle Skepsis und Vorsicht, bewahre unsere Herzen und Gedanken, unseren Mut und unsere Phantasie in Jesus Christus, unserem Herrn.       Amen.

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Gottesdienst 2. Nach Trinitatis

29. Juni 2025   Lindenhofskirche Neinstedt

P r e d i g t Lukas 14; 16 – 24

Neue Möglichkeiten zu leben kommen von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, der für uns maßgeblich ist.                 Amen.

Liebe Gemeinde,

immer mal wieder höre ich jemanden fast klagen: Ich MUSS schon wieder zu einem Geburtstag – ich komme aus dem Feiern gar nicht mehr heraus. Und wer das ausspricht klingt so, als müsse sie oder er schon wieder zu einer Beerdigung und komme aus der Trauerkleidung nicht mehr heraus.

Wir müssen feiern gehen – liegt es daran, dass manche Einladungen tatsächlich wie ein Einberufungsbefehl klingen?

In der Gemeinde der Christen wird auch eingeladen – zum Gottesdienst – Feiern.

Der heutige Predigttext erzählt die bekannte Geschichte von einer ausgeschlagenen Einladung zu einem großen Fest. Lange vorbereitet war sorgfältig eine Gästeliste zusammengestellt worden, viele Vorbereitungen wurden liebevoll getroffen – es sollte ein besonderes Erlebnis werden.

Manchmal stelle ich mir vor, dass unsere Vorfahren es mit einer solchen Einladung etwas leichter hatten als wir heute. Fast täglich flattern irgendwelche Einladungen ins Haus – von Verwandten und Freunden, von Firmen und Reiseveranstaltern und was weiß ich noch alles. Wir sind umworbene Leute – überall möchte man viele dabei haben und volle Häuser – wenn es nach Corona wieder möglich ist – und natürlich volle Kassen.

Dass die Eingeladenen damals abgesagt haben, kann ich mir auch gut vorstellen – oft sind Terminkalender längst ausgereizt – spontane Einladungen haben ohnehin keine Chance. Für viele wichtige Termine wird oft schon Monate vorher eingeladen: Save the day – könnte man auch deutsch sagen: Merke diesen Termin vor – aber dann ist das ja noch so lange hin und wird schnell vergessen.

Die Einladung zum Gottesdienst steht heute inmitten eines bunten Freizeitangebotes und darunter sind sehr viele attraktive Sachen. Überall wird Freude, Spannung, Fröhlichkeit, Entspannung angeboten – jeder wird auf seine Kosten kommen.

Da hat es das Angebot Gottes nicht leicht mitzukommen.

Ansonsten stehen kirchliche Einladungen verwechselbar unter den reichhaltigen Glücksangeboten in Zeitungen und auf Plakaten.

Dennoch bleibt sie bestehen - die Einladung Gottes. Es ist die Einladung zu einem Fest – nicht die Vorladung zu einem Termin. Gott lädt an seinen gedeckten Tisch, in seine Nähe. Die Eingeladenen sollen bei ihm erfahren, was Freude ist und was Freiheit – sie sollen erfahren können: Das ist lebenswertes Leben – Gott schenkt voll ein, so sagt es ein alter Psalm.

Gott wird geschildert als wunderbarer Gastgeber, der den Menschen Freude gönnt, der alles hat und alles verschenkt.

Was Gott anbietet lässt sich in einem kurzen Wort zusammenfassen: Heil – heil sein – ganz sein – lebendige Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott – ungehindertes und ungemindertes Menschsein.

Gott lädt ein – durch Menschen – durch die Gemeinde – also durch uns. In die Gemeinschaft mit ihm – zum Gespräch über ihn und mit ihm, zum gemeinsamen Loben, Klagen, Danken, Bitten.

Heil sein in einer unheilen Welt – mit Jesus im Gespräch wie mit einem Freund. In der Gemeinde kann ich erfahren: Er tröstet, wenn das Herz schwer ist – er kennt und liebt mich, wie ich bin – er gibt niemanden auf, stößt keinen weg – er lässt auch mich nicht los.

Gottes Einladung ist eine zu einer Freude, die keinen bitteren Nachgeschmack hinterlässt.

Das Gleichnis vom großen Festmahl berichtet auch von einer anderen Seite Gottes: Es ist ein ernstes, fast bedrohliches Bild: Gott ist kein freundlicher Kumpel, der nichts krumm nimmt – der wieder und wieder einlädt – am Ende ist ein deutliches Wort: Es gibt ein „zu spät“, für diejenigen, die Gottes Einladung nicht annehmen.

Das ist schon auch ein Widerspruch – wie bei der Einladung zum Festmahl.

Normalerweise habe ich das Recht, eine Einladung auszuschlagen. Das unterliegt dann meiner Entscheidung – und natürlich auch die Konsequenzen daraus.

In unserer Geschichte finde ich viele bekannte Elemente. Der Bote, der die Einladung überbringt, wird nicht abweisend oder geringschätzig behandelt. Man schlägt ihm nicht die Tür vor der Nase zu. Die Eingeladenen sagen nicht: Bleib uns gestohlen mit deiner Einladung – lass den alten Herrn allein feiern. Wir sind nicht für Religion – so gehässig sind sie nicht.

Die Einladung wird nicht feindselig abgelehnt, sondern in Form von Entschuldigungen und mit Gründen, die eigentlich jedermann respektieren müsste.

Was ist so schlimm daran, dass der Hausherr zornig wird über die einleuchtenden Gründe?

Sicher, weil er erkannt hat, was auf der Hand liegt und nur nicht ausgesprochen wird; was sich hinter den harmlosen Verweigerungen versteckt:

Es gibt – jedenfalls im Augenblick – Wichtigeres als Gottes Einladung. Das kommt ja später wieder – dafür ist jetzt keine Zeit – das ist jetzt nicht dran. Es passt nicht in die Lebensplanung – jedenfalls jetzt nicht - später – wenn ich das wirklich Wichtige geschafft habe.

Die drei Männer im Gleichnis haben sich der Einladung Gottes verweigert – gerade jetzt seien sie – leider – nicht in der Lage, sie anzunehmen – die Umstände seien eben so – vielleicht dann später einmal.

Jesus wird ganz ernst: Ich sage euch, keiner von denen, die eingeladen waren, wird an meinem Abendessen teilnehmen. Wer das Lebensangebot Gottes ausschlägt, weil es jetzt nicht so recht in die Planung passt, der unterliegt einer Täuschung. Gott lädt freundlich ein – er bettelt niemanden an.  Er zwingt keinen zu seinem Glück bzw. Heil.

Dann kommt der eher märchenhaft anmutende Teil der Geschichte: Das Fest fällt nicht aus, die gedeckten Tafeln werden nicht abgeräumt. Gott zieht seine Einladung nicht zurück, er lädt andere ein – seine Tische bleiben nicht leer, sein Haus wird voll – anders als gedacht.

Arme, Blinde, Lahme, Neugierige, Zweifelnde, Leichtfertige - die von den Hecken und Zäunen – nicht die Prominenz, keine Elite. Die jetzt kommen sind Leute, mit denen kein Staat zu machen ist – aber Kirche offensichtlich doch.

Paulus hat die erste Gemeinde im Korintherbrief mit folgenden Worten beschrieben: „Nicht viele Weise nach dem Urteil der Menschen, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt.“

Und sie kommen – hungrig und voller Erwartung und wahrscheinlich auch etwas ängstlich. Keine sehr imponierende Tischgesellschaft.

Wenn manche im Blick auf unsere Gemeinden die Nase rümpfen und sagen: Was? Die? Das wollen Christen sein? Die sind doch auch nicht besser als andere! –

Wenn das so gesagt wird, gibt es nur eine Antwort:

Stimmt, so ist es.  Wir sind nicht besser als andere – wir haben es besser – wir sind besser dran, weil wir von Gottes Liebe zu uns Menschen wissen.

Der Bote damals musste noch einmal los – auf die Landstraßen- zu den Fremden – den Unreligiösen – zu denen, die mit Gott nichts anzufangen wissen.  Auch mit ihnen fängt er an. Sie werden dazu geladen, ohne sich erst kirchlich zurechtmachen zu müssen.

Es soll keiner ausgeschlossen vom Heilsangebot Gottes. Es kann sich nur jemand selber ausschließen. Am Ende, so heißt es, wird jedenfalls kein Platz leer sein. Auch meiner wird besetzt sein – dann hoffentlich von mir.

Gott lädt ein – uns – jede und jeden – er möchte alle dabei haben und Anteil geben an seiner Freude – und Kräftigung bieten für den zu bewältigenden  Alltag. Ein befreiendes Angebot – und ich weiß: Was mir wirklich wichtig ist, dafür finde ich auch die Zeit.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, als alle Skepsis und Vorsicht, bewahre unsere Herzen und Gedanken, unseren Mut und unsere Phantasie in Jesus Christus, unserem Herrn.

 

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1. nach Trinitatis   

22. Juni 2025 - 10 Uhr HBS Liebfrauen

 

Evangelium = Predigttext:     Lukas 16; 19 – 31          

Neue Möglichkeiten zu leben und Frieden kommen von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, der für uns maßgeblich ist. Amen.

Liebe Gemeinde,

manche biblischen Erzählungen haben durchaus etwas märchenhaft Anmutendes an sich – wobei Märchen ja durchaus nicht immer ein märchenhaft schönes Ende haben – jedenfalls für die „Bösen“ nicht.

So auch das heutige Evangelium, das eigentlich keine „gute Nachricht“ ist:

Da ist ein reicher Mann, der in Saus und Braus lebt. Täglich feiert er ein neues Fest, lebt herrlich und in Freuden. Alles Erdenkliche steht ihm zur Verfügung; es fehlt ihm an nichts. Hunger gehört zu den Fremdwörtern seines Sprachschatzes – eher beschäftigen ihn Überfluss und vielleicht auch daraus folgender Überdruss.

Dabei übersieht er den vor seiner Tür liegenden, von Hunger und Geschwüren geplagten Lazarus. Der hat nichts – keinen Besitz, keine Arbeit, keine Gesundheit, nichts zu essen.

Er nährt sich von den Brosamen, die vom Tische des Reichen fallen; zum Beispiel von den Brotfladen, mit denen sich die Feiernden damals die Hände abwischten. So hat der Arme in gewissem Sinne Anteil an der Verschwendungssucht der Reichen.

Die Folgen werden als katastrophal geschildert. Nach dem Tode darf Lazarus an der Seite Abrahams sein; der Reiche ist unabänderlich an einem Ort des Schreckens. Seine Zukunft hat sich im Leben entschieden, er kann nichts mehr rückgängig oder wieder gut machen.

In der ausführlich geschilderten neuen Situation stehen die bisherigen Werte auf dem Kopf. Rache und Vergeltung sind an der Reihe. Der Reiche sitzt im ewigen Feuer, wie umgekehrt der Arme in der ewigen Freude sitzt. Und sozusagen als höhnische Zugabe der Strafe muss der ehemals Reiche den Armen in der himmlischen Seligkeit sitzen sehen.

Für mich ist es eine Geschichte, die zum Widerspruch reizt, weil sie nahe legen könnte zu predigen:

Wer auf der Erde arm, krank und entrechtet ist, der soll sich nicht grämen; im Himmel wird er für alles entschädigt. Solches Predigen wurde der Kirche immer wieder – und leider nicht zu Unrecht – vorgeworfen. Statt Trost und Ermutigung Ver-Tröstung.

In der ernsten Szene wird ein Problem angesprochen, das unter uns inzwischen und zunehmend bedenklich an Aktualität gewonnen hat: Der Unterschied zwischen denen, die haben und denen, die nicht haben: Arbeit, Einkommen, Beziehungen, Perspektiven.  Krasser kann der Unterschied kaum geschildert werden.

Als besonders erdrückend und erschreckend empfinde ich die totale Beziehungslosigkeit zwischen den beiden, obwohl der eine direkt vor der Tür des anderen liegt. Nichts passiert, es ist wie ein stehendes Bild. „Nicht die Grausamkeit, sondern die Gleichgültigkeit ist das furchtbarste Übel.“

Ich vermute, dass wir uns nicht als Reiche vorkommen, obwohl wir es im Weltmaßstab oder auch nur im europäischen ganz sicher sind. Meist neigen Menschen dazu, sich wie Lazarus zu fühlen und nicht wie der Reiche, auch wenn wir nicht täglich Feste feiern und vor unserer Tür kein Kranker herumliegt.

In der biblischen Erzählung geht es nahtlos weiter: Der Reiche möchte seine Verwandten warnen lassen, damit sie sein Schicksal nicht teilen müssen. Hinter diesem Wunsch steht die Hoffnung, es möge sich etwas ändern, Menschen könnten sich ändern, wenn man es ihnen nur richtig erklärt und die Folgen anschaulich schildert.

An diesem Punkt bin ich ziemlich ungläubig. Ich weiß, wie schwer es fällt, sich zu ändern  – meist wird es keine Umkehr, höchstens eine Drehung in die als günstig erscheinende Windrichtung.

Abraham holt den Reichen auf den Boden der Wirklichkeit und teilt mit: Deine Brüder könnten sich ja ändern, sie wissen alles, doch sie machen von der Möglichkeit der Umkehr keinen Gebrauch. Es hat keinen Sinn, ihnen jemanden zu schicken. Es ist alles geschrieben und gesagt; ihnen ist nicht zu helfen.

Für Abraham war alles klar und festgelegt – an den Zuständen der Welt wird sich nichts ändern. Doch da ist noch etwas anderes:

Lazarus heißt übersetzt: „Gott hilft“. Das gibt dem Gleichnis eine neue Richtung. Dieser Name entzieht sich aller Rache und der Vergeltung. Gott hilft – damit ist mehr gemeint, als dass dem Armen die Hilfe Gottes zuteil wird.

Die Geschichte ist nicht zu Ende – sie muss weitererzählt werden. Auch von uns – Gott hilft. Und dazu braucht er Helfer/innen.

Von Jesus war noch gar nicht die Rede – weil es eine viel ältere Erzählung ist. Für mich gehört es dennoch dazu – davon zu reden, wie Jesus im Namen Gottes, also im Namen der Liebe, Menschen zu einem Neuanfang verholfen hat – wie er das Rechnen und Vergelten beendet hat. Er hat es nicht wie Abraham dabei belassen, dass eben alles so ist wie es ist.

Jesus hat Menschen die Chance zur Veränderung gegeben. Er wendet sich mit der Geschichte an die Reichen. Der aus dem Gleichnis kam erst zur Einsicht, als es zu spät war. Für uns ist es noch nicht zu spät – weder persönlich noch als Institution Kirche.

Wenn ich weiß, dass in unserem reichen Land die Zahl der „Armen“ ständig zunimmt und sehr viele Menschen die ihnen zustehende Sozialhilfe nicht in Anspruch nehmen – aus Scham oder weil sie den bürokratischen Hürden nicht gewachsen sind –

und dass immer öfter dort gespart wird, wo kommunaler und kirchlicher Einsatz eigentlich denen zugutekommt, die besonders hilflos und deshalb hilfsbedürftig sind: Psychisch Kranke, Ausländer, anonyme Seelsorgeangebote, die „sich nicht rechnen“ – wenn ich erlebe, wie Kirche in Gebäude und Ausstattungen statt in Menschen investiert bekomme ich es mit der Angst zu tun.

Was will Kirche, was muss Gemeinde tun – wo muss sie präsent sein und warum? Um zu repräsentieren? Um gesehen zu werden, angesehen zu sein? Wo haben wir Schwerpunkte zu setzen?

Zeit zur Umkehr? Geht es uns wie dem Reichen und seiner Familie – die alles Nötige wissen, ohne danach zu handeln?

Lazarus damals war ein Ausgestoßener der Gesellschaft.

Der Gott von dem Jesus erzählt ist ein „Gott hilft“ – in der Regel, ohne dass sich aus dem Himmel ein helfender Arm herabsenkt.

Jesus meint: Dein Arm – deine Hand – muss den Schwachen und Hilflosen hingestreckt werden – denen, die Opfer werden von Willkür, Gewalt, von einer gnadenlosen Gesellschaft.

Zu seinen Lebzeiten auf der Erde hat Jesus gewaltigen Anstoß erregt mit seinem Einsatz für Außenseiter und Ausgegrenzte. Die Geschichten, die er erzählt hat oder die über ihn aufgeschrieben wurden, laden ein zu einem Leben in Verantwortung miteinander und Zuwendung zueinander.

Der Schriftsteller Sartre hat einmal geschrieben: „Die Hölle – das sind die anderen.“ Jesus sagt: „Die Hölle – das ist, ohne die anderen zu sein.“

Und das mit konkreten Konsequenzen: Nicht die Augen vor dem Elend anderer zu verschließen; nicht nur anzubieten was „sich rechnet“ und finanziell „etwas bringt“.                            .

Wer von Jesus etwas weiß, der kann nicht mehr von einem Himmel träumen, in dem alles besser wird, sondern der gehört auf die Erde, auf diese Erde an die Seite des „Gott hilft“.

Es gibt sie noch immer reichlich, die „Lazarusse“ – leider auch direkt vor unseren Haus- und Kirchentüren.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, als alle Skepsis und Vorsicht, bewahre unsere Herzen und Gedanken, unseren Mut und unsere Phantasie in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

 

 

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Trinitatis 15. Juni 2025

10 Uhr Stötterlingen

2. Korinther 13; 11 – 13

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.  Amen.

 

Liebe Gemeinde,

die Worte, die Sie eben gehört haben, sind regelmäßigen Gottesdienstteilnehmern vertraut - fast immer werden sie am Anfang der Predigt gesprochen: “Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.”

Es hört sich an wie sehr fromme Worte, ein dreifacher guter Wunsch wird ausgesprochen: Gnade, Liebe und Gemeinschaft kommen darin vor. Das klingt nach friedlicher und freundlicher Atmosphäre.

Weniger bekannt ist vermutlich, dass dieser Dreisatz am Ende eines eher unfreundlichen Briefes steht, den der Apostel Paulus nach Korinth geschrieben hat. Zwischen ihm und der Gemeinde dort war es zu erheblichen Auseinandersetzungen gekommen. Was Paulus vorher schreibt sind leidenschaftliche Ausführungen zu den inneren Streitigkeiten und persönlichen Verunglimpfungen, denen er ausgesetzt war.  Die Briefe lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Dennoch am Ende die “frommen Wünsche”.

Was so harmonisch klingt, hat Paulus wahrscheinlich mit großen Ängsten  geschrieben, denn der Konflikt hatte ihn und die Gemeinde fast auseinander gebracht.

Von Christen wird oft erwartet, dass sie besonders friedfertig sind und versuchen, jeden Streit zu vermeiden. Der Satz des Paulus “Seid eines Sinnes; haltet Frieden” könnte so ausgelegt werden.

Streit zermürbt, er frisst Kräfte, er kann kaputt und krank machen. Verständlich ist der Wunsch, Konflikten auszuweichen - nicht über sie zu reden - so zu tun, als gäbe es sie nicht. Noch dazu in der Kirche - wenigstens dort soll es anders zugehen als sonst.

 

Dabei ist bekannt: Wo immer Menschen zusammenleben, gibt es Streit; unterschiedliche Einsichten und Ansichten und Verhaltensweisen, die andere verärgern oder kränken oder benachteiligen. Dann müsste nach Lösungen gesucht werden, mit denen alle leben können - und das ist schwer. Einfacher ist es zu sagen: der Starke setzt sich eben durch oder wie der böse Titel eines Liedes heißt: “Du musst ein Schwein sein in dieser Welt.” Wer dem zustimmt, hat resigniert.

 

Häufig ist die Klage zu hören, dass es keine Streitkultur mehr gibt.

Streitkultur - nur ein Modewort? Kultur hat etwas zu tun mit der Pflege und Gestaltung des menschlichen Miteinanders. Und weil Streit und Meinungsverschiedenheiten zum Menschsein gehören ist es notwendig, auch da eine gute Form des Umgangs zu finden.

Konflikte werden nicht dadurch gelöst, dass an den guten Willen appelliert wird oder der jeweils Schwächere nachgibt bzw. dazu gezwungen wird. Es bringt auch nichts, Differenzen zu unterdrücken, beiseite zu schieben. Probleme gehören offen auf den Tisch - nicht unter den Teppich gekehrt.

Ich finde, das ist ein sehr passendes Bild. Stellen Sie sich vor, wie es weiterginge mit all dem Müll und Unrat und Staub unter dem Teppich. Das Ganze würde sehr bald im wahrsten Sinne des Wortes “zum Himmel stinken”.

Wenn Streit und Ärger ständig  verdrängt werden, kommt es zu einem Scheinfrieden, wo die Probleme weiter unter der Oberfläche schwelen und das Miteinander vergiften oder unmöglich machen.

Die Art und Weise wie Paulus mit der Problematik umgeht, empfinde ich es als ermutigend und einladend. Kirche und Gemeinde sind nicht eine Insel der Seligen und Friedfertigen - sie können Lernort sein für eine bessere, eine wirkliche Streitkultur.

Drei gute Wünsche, die zugleich Angebote und Auswege sind, setzt Paulus an den Schluss seines Briefes.

Als Erstes:

Die Gnade sei mit euch. Schade, dass das Wort Gnade heute ungebräuchlich geworden ist. Es klingt altmodisch oder wird verächtlich herabsetzend gemeint, wenn einer gnädig - also quasi von oben herab - behandelt wird. Der Umgangston und das Verhalten vieler sind zunehmend gnadenlos geworden - und das macht sich in unserer Gesellschaft erschreckend bemerkbar.

Gnade beinhaltet: Ich muss dem anderen nicht ein Leben lang Vorhaltungen machen und ihm oder ihr Verfehlungen auf immer und ewig nachtragen. Gnade weist auf Vergebung hin, die neue Wege und Horizonte eröffnet.

Die Liebe Gottes wünscht Paulus den Zerstrittenen als Zweites. Eine Liebe, die nichts verniedlicht oder verschweigt, eine Liebe, die ehrlich bleibt.

Der Geist der Liebe bringt Gegensätze ins Gespräch. Er schafft Einheit, ohne den jeweils anderen zu vereinnahmen. Die  Liebe Gottes beinhaltet: Den Mitmenschen nicht zu verurteilen; wohl aber ihn ernst zu nehmen.

Deutliche Worte sind wichtig, auch wenn sie schmerzen können. Entscheidend sind Geist und Absicht, die dahinter stecken. Will ich den anderen vernichten, zerstören, kränken, diffamieren - oder will ich um ihn ringen, damit es weitergeht für alle Beteiligten?

Es macht immer wieder traurig, dass es gerade unter Menschen, die sich nahe stehen, soviel Streitereien und Zerwürfnisse gibt - da, wo sie besonders schmerzen. Dabei ist es nur verständlich: Wo die Nähe am größten ist, sind es auch die Reibungspunkte. Das zeigt sich in Familien und unter eigentlich Gleichgesinnten. Auszuhalten ist das nur in der Gewissheit: Die Liebe hält uns zusammen; im Geiste dieser Liebe können  Menschen sich einander mit ihren guten und schlechten Eigenarten zumuten, sich gegenseitig tragen und ertragen.

Die dritte und letzte freundliche Zusage gilt dem Gemeinsamen:

Zu einer tragfähigen Gemeinschaft gehört die Auseinandersetzung - damit man sich nachher wieder zusammensetzen kann. Eine wirkliche Gemeinschaft zerbricht nicht an Unterschieden. Bei Paulus hat sich gezeigt: Der ausgetragene Konflikt hat die Beteiligten nicht auseinander, sondern zusammengebracht.

Mir gefällt gut und es gibt mir Hoffnung, dass es Menschen wie Paulus gab und gibt: Die kein Blatt vor den Mund nehmen - einen, der Köpfe zurecht rückt, ohne sie gleich abzureißen. Zuweilen wünsche ich sehnsüchtig solche Autorität wie die des Paulus - und dazu das Gegenüber, das sich Ermahnungen zu Herzen nimmt, ohne sich beleidigt abzuwenden.

Paulus hat schmerzlich erfahren müssen, wie wenig der Prophet im eigenen Lande gilt. Ihm war klar, dass es ihm nicht allein mit seiner apostolischen Autorität gelingen würde, das Zusammenbringen der zerstrittenen Gemeinde zu erreichen.

Darum haben seine letzten Worte ein so starkes Gewicht an Zuversicht und Hoffnung. Nicht Paulus konnte die Gemüter bewegen, sondern der Geist Gottes. In ihm kann sich jeder Mensch angenommen fühlen - mit seinen Stärken und seinen Schwächen. Wer weiß, dass er aus der Gnade lebt, wird nicht gnadenlos mit anderen umgehen.

Vor einer Woche haben wir das Pfingstfest gefeiert. Der Geist Gottes kommt zu den Menschen und bringt ihnen unerwartete Verständigungsmöglichkeiten. Der Geist Gottes weckt Mut und Phantasie, er führt über tote Punkte hinaus und kann abgestorbene Beziehungen zu neuem Leben erwecken.

Schlimm wird es, wenn nicht mehr miteinander, sondern nur noch übereinander geredet wird. Beängstigend ist nicht das Vorhandensein von Konflikten, sondern wenn Gemeinschaft aufgekündigt wird.

Paulus hat sich und den anderen kritische Worte nicht erspart. Er hat es offen und ehrlich getan und sich damit verletzlich gemacht. Bei allem hat er die Gewissheit, dass er und die Gemeinde Gleichgesinnte sind und bleiben. Die Einheit der Liebe besteht nicht erst dann, wenn sich alle geeinigt haben, sondern schon vorher.

Gnade, Liebe und Gemeinschaft - ich glaube, dass diese drei guten Wünsche helfen können, den Alltag miteinander lebenswerter zu gestalten. Es geht nicht darum, unangenehme Wirklichkeiten nicht wahrzunehmen und einen Scheinfrieden vorzutäuschen. Es ist lohnend, im Geiste der Gnade und der Liebe nach gangbaren Wegen zu suchen.

Das gilt im persönlichen Miteinander ebenso wie im Umgang  innerhalb der Gesellschaft.

Kritikwürdige Wahrheiten offen zu legen bleibt belastend. Sie zu verschweigen ist auf Zukunft hin allerdings gefährlicher. Zum Beispiel bin ich dankbar dafür, wenn die Kirchen sich im politisch-gesellschaftlichen Bereich zu Wort melden und gerechtere Lebensverhältnisse einklagen. Das bringt nicht nur Freunde ein - es bleibt notwendig, um ein Sprachrohr für Verstummte und an-den-Rand-Gedrängte zu sein.

Eine Gesellschaft, die an nichts anderes glaubt als an Erfolg und Konsum hat keine Zukunft - und das muss immer wieder unüberhörbar gesagt werden.

Auch dabei ist entscheidend, welche innere Haltung dahinter steht. Bei Paulus heißt es: “Lasst euch Zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, seid friedsam. So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.”

Ich finde es schön und hoffnungsvoll, dass Streit so ausgehen kann - neue Möglichkeiten des Lebens miteinander und füreinander eröffnet. Und so wünsche ich uns:

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Amen.

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Eröffnungsandacht

 Evangelisches Gemeindezentrum Thale 

22. Februar 2020 um 10 Uhr

Dialog Einweihung Gemeindeanbau St. Petri Thale

Ursula Meckel & Thomas Thiede

Ursula: Verehrte Anwesende, liebe Festgemeinde,

als ich ca. 2015 davon erfuhr, dass ein Anbau an der St.Petri-Kirche geplant ist, schossen mir sofort drei Gedanken durch den Kopf:

-          1. Das ist niemals genehmigungsfähig - denn da gibt es die obere, untere und mittlere Denkmalsschutzbehörde – und vermutlich noch diverse andere Instanzen und Behörden, die mitzureden haben.

-          2. Das ist nie und nimmer finanzierbar – ich habe zwar keine Ahnung von den wirklichen Kosten, aber ich bin sicher: Ganz bestimmt nicht von den beiden kleinen Kirchengemeinden hier in Thale.

-          3. Es kann mir eigentlich auch egal sein, weil ich das ganz sicher ohnehin nicht erleben werde.

Nun ja – so kann man sich irren.

Der Bau wurde genehmigt, die Finanzierbarkeit wurde geklärt – es fehlt zwar noch einiges für die Innenausstattung – und ich lebe noch.

Nun ist eine weitere und viel wichtigere Frage offen: Wird der Anbau angenommen von den Menschen, für die er konzipiert ist –

also: Werden sich hier Menschen treffen und miteinander ins Gespräch kommen, diskutieren, kreativ sein, singen, blasen, tanzen, filzen, malen – ein wirkliches Kultur- und Begegnungszentrum?

Das wird die kommende Zeit bringen und ich kann es nur hoffen und wünschen, damit das Engagement, auch das finanzielle, nicht vergeblich war.

Allerdings: Ich höre auch viel Skepsis und Kritik – „Was habt ihr denn da mit unserer schönen Kirche gemacht?“ – „Das passt doch überhaupt nicht dahin!“ – usw. usf.

Thomas: (vom Bläserplatz aus) Aber das ist doch klar. Immer, wenn etwas Neues entsteht sind sofort diejenigen auf der Matte, denen das nicht gefällt. (kommt nach vorne)

Dabei haben wir als Gemeindekirchenrat es uns nicht leicht gemacht. Als 2014 klar war, dass wir unser Gemeindehaus auf der anderen Straßenseite nicht erhalten und auch nicht behalten können, waren wir nicht nur traurig, sondern auch geschockt und ziemlich verzweifelt.

Na klar, hätten wir uns einfach hinsetzen und weinen und uns bedauern können, aber wir wollten nach vorn sehen und überlegen, wie es weitergehen kann. Es gibt so ein schönes Bibelwort: „Wer seine Hand an den Pflug legt und schaut zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes.“

Ursula: Also, ihr wollt hier das Reich Gottes aufbauen?

Thomas: Naja, nicht ganz so vollmundig. Wir möchten, dass sich hier Menschen treffen und begegnen können, etwas miteinander erleben und gestalten. Und nicht nur evangelische Christen, sondern alle Menschen, denen Kultur wichtig ist – deshalb heißt es ja „Kultur-und Begegnungszentrum“. Und dass Kultur wichtig ist, wird ja wohl niemand ernsthaft bezweifeln. Schau dir doch nur an, was gerade in der Politik so läuft – wie respektlos da miteinander umgegangen wird – wie oft Andersdenkende übereinander reden, aber nicht miteinander – sich gegenseitig austricksen - einander verteufeln anstatt sich zuzuhören.

Ursula: Das ist leider wahr. Aber wie wollt ihr das mit diesem Anbau ändern? Soll hier ein Diskutierclub entstehen, wo Menschen unter Anleitung lernen, wie man kulturvoll miteinander umgeht.

Thomas: Natürlich nicht. Oder vielleicht auch? Mal sehen. Auf jeden Fall wollen wir die Möglichkeit geben, dass Menschen etwas gemeinsam erleben – schon das verbindet ja und baut Berührungsängste ab. Beim gemeinsamen Tun kommt man sich näher – oder auch, wenn man sich miteinander erfreut, zum Beispiel an schöner Musik oder gemeinsam einen Film ansieht und sich darüber austauscht, Theater spielen oder anschauen, Lesungen und unterschiedliche Workshops.

Es gab schon mal ein Format, das „Kreuz und quer“ hieß, eine Veranstaltungsreihe mit verschiedenen Angeboten – das möchten wir wieder beleben. Die ersten Termine sind schon geplant.

Ein großer Vorteil des Anbaus ist, dass er barrierefrei gestaltet wurde, also auch für Menschen mit Handicap zugänglich ist, niemand ausgegrenzt wird.

Wir – nicht nur diejenigen vom Gemeindekirchenrat - sind jedenfalls gespannt und neugierig, wie es hier weitergeht – bzw. erst richtig los geht.

Ursula: Mir fällt auch noch ein Bibelwort ein:

„Denn siehe, ich will ein Neues machen; jetzt soll es aufwachsen - erkennt ihr es nicht?“

Da lädt der alte Prophet Jesaja dazu ein, genau hinzusehen wo etwas Neues wächst, darüber zu staunen und es zu pflegen.

Thomas: Genau das haben wir vor – hinsehen, staunen, pflegen – Menschen aktivieren und einladen, nicht nur Thalenser, sondern auch die vielen Touristen, die in unsere Stadt kommen.

Ursula: Übrigens – weißt du, was das hier ist? (Raupe zeigen)

Thomas: Nicht wirklich, sieht aus wie ne olle Raupe.

Ursula: Genau – das Wertvolle und Schöne daran ist zunächst nicht zu sehen – weil es noch inwendig ist:

(Raupe entfalten zum Schmetterling)

Thomas: Wow! So oder jedenfalls so ähnlich stelle ich mir die Zukunft von unserem Kultur- und Begegnungszentrum vor.

Beide:             Amen.

Lied:   Komm, bau ein Haus …      Blatt                                                 Chor, Bläser

 

Wir bitten um Gottes Segen:

Ursula Meckel: Herr, segne unsere Hände, dass sie behutsam seien,

dass sie halten können, ohne zu Fesseln zu werden,

dass sie geben können ohne Berechnung,

dass ihnen innewohnt die Kraft, zu trösten und zu segnen.

 

Thomas Thiede: Herr, segne unsere Augen, dass sie Bedürftigkeit wahrnehmen,

dass sie das Unscheinbare nicht übersehen,

dass sie hindurchschauen durch das Vordergründige,

dass andere sich wohlfühlen können unter unseren Blicken.

 

Steffi Andrä: Herr, segne unsere Ohren, dass sie deine Stimme zu erhorchen vermögen.

dass sie hellhörig seien für die Stimme der Not, dass sie verschlossen seien für Lärm und Geschwätz, dass sie das Unbequeme nicht überhören.

 

Kristin Heyser: Herr, segne unsere Münder, dass sie dich bezeugen,

dass nichts von ihnen ausgehe, was verletzt und zerstört,

dass sie heilende Worte sprechen, dass sie Anvertrautes bewahren.

 

Stefan Ehrhardt: Herr, segne unsere Herzen, dass sie Wohnstatt seien deinem Geist,

dass sie Wärme schenken und bergen können,

dass sie reich seien an Verzeihung, dass sie Leid und Freude teilen können.

 

Ursula Meckel: Herr, segne dieses Haus, dass es offen sei für alle Menschen guten Willens,

dass wir einander zuhören und unterschiedliche Meinungen ertragen,

dass wir voneinander lernen und miteinander feiern können,

dass wir spüren können, wie Himmel und Erde sich berühren.

Amen

 

Musik: „Trumpet Tune“ Bläserklänge S. 292                                                               Bläser

 

 

 

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14. Mai 2017 - 40 Jahre Ordination - Thale St. Andreas

   

                                      

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Gottesdienst 31. Oktober 2014

Wendegedenken – Reformation – Verabschiedung Pastorin Ursula Meckel

Liebe Versammelte,

heute vor 25 Jahren um diese Zeit war ich sehr viel aufgeregter als heute – in zweieinhalb Stunden würde hier in dieser Kirche eine Veranstaltung beginnen, von der niemand sagen konnte, wie sie ausgehen würde – wie viele kommen würden – ob es friedlich bliebe. Einige entschlossene Bürger/innen hatten eingeladen zu einem „Gebet für Land und Leute“ - … ein heute völlig harmloser Text, damals  staatsgefährdend gefährlich – die Handzettel wurden schnell entfernt, doch es hatte sich herumgesprochen.

Etliche sind jetzt hier, die damals auch dabei waren – um viele Erfahrungen reicher.

An diesen Reformationstag vor 25 Jahren erinnern wir.

Reformationstag – ein evangelischer Feiertag, den wir hier in Thale seit vielen Jahren ökumenisch begehen – so auch heute – ein zweiter Grund zur Dankbarkeit, weil das keineswegs überall selbstverständlich möglich ist.

Der dritte Anlass dieses Gottesdienstes: Nach 40 Jahren im kirchlichen Dienst werde ich verabschiedet - von den Kirchengemeinden und vom Kirchenkreis – entpflichtet vom Amt? – von der Pflicht zur Kür? – beziehungsweise verabschiede ich mich? - oder auch nicht?

Schaun wir mal.

Auf jeden Fall feiern wir jetzt einen Gottesdienst mit ganz viel Musik und dafür bin ich dankbar; dankbar allen, die ihn mit ausgestalten – und dazu gehören auch Sie alle hier, die zum Mitsingen eingeladen sind.

Dankbar bin ich vor allem dafür, dass wir uns versammelt haben im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Hilfe erwarten wir von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

Chor + Gemeinde: Wo Menschen sich vergessen …

Gott, wir treten jetzt vor Dich mit unseren Erinnerungen, unseren Wünschen, unseren Befürchtungen und unseren Hoffnungen. Wir schauen zurück und nehmen Abschied – wir blicken nach vorn und haben Träume.

Ich möchte bewahren, was gut war in den vergangenen Jahrzehnten. Denn vieles war wunderschön, erfrischend, aufregend, überraschend neu – dafür danke ich, das will ich nicht missen.

Loslassen und bewahren - beides. Gott, gib mir den Mut, die Hände zu öffnen, um Altbekanntes loszulassen. Gib mir den Mut, die Hände zu öffnen und die Arme auszubreiten, um Neues, Unbekanntes zu begrüßen.

Gott, ich danke Dir, dass ich getragen bin von der Hoffnung, gehalten zu werden -  beflügelt von dem Glauben, dass Du Dich kümmerst - auch um mich. Begeistert von dem Glauben, dass Du da bist.

Du hältst die Zeit liebevoll in Deinen Händen. Du bist ewig. Gestern und heute und morgen. Kein Anfang, kein Ende. Die Zeiten kommen und gehen - Du bleibst und rufst zum Leben im Vertrauen auf Dich und Deine beständige Gegenwart. Du bist auch jetzt mitten unter uns. Das ist Grund, sich zu freuen – deshalb:

Jauchzet dem Herrn alle Welt!

Amen.

Chor + Bläser:     Psalm 100

Lesung = Prediger 3; 1 - 13                                   

Meine Hoffnung …

                Credo                                                        

Bläser:                 La nuit

PREDIGT-Einstieg

U.:     Sag mal bitte,  Angelika, findest Du nicht auch, dass das heute hier eine etwas seltsame Veranstaltung ist?

A.:     Wieso seltsam? Es ist ein schöner Gottesdienst in einer vollen Kirche mit aufmerksamen Menschen, viel Musik und guter Stimmung. Und weil aller guten Dinge drei sind, gibt es drei inhaltliche Schwerpunkte: Wende-Gedenken, Reformation und Deine Verabschiedung.

U.:     Wende-Gedenken und Reformation sind klar – aber meine Verabschiedung? Mein Dienst hier im Pfarrbereich endete schon vor sieben Monaten. Ich wohne weiter in der Gemeinde und gehöre zum Bläserchor und in der Stadt bleibe ich ebenfalls, sogar im Stadtrat. Und: Im Kirchenkreis und selbst darüber hinaus geht meine Arbeit weiter. Also was für ein Abschied?

A.: Kann es sein, dass Du Dich um einen Abschied drücken willst?

U.: mhm … Also, mein ältester Patensohn hat mir geschrieben: „Ruhestand KANNST Du gar nicht.“

A.: Weiche nicht aus! Kann es sein, dass Du Dich drücken willst vor dem Abschied? Weil das weh tut?

U.: mhm …

A.: Bisher hast Du das ja ganz geschickt geschafft – denn Dein Dienst im Pfarrbereich Thale endete ja bereits am 31. März – wie Du weißt…

U.: Und Du weißt: Jeder Abschied ist ein kleines Sterben.

A.: Gehts auch etwas weniger theatralisch? - Du weißt: Alles hat seine Zeit … steht doch so schön auf der Einladung: …

U.: Das ist wohl der Unterschied zwischen Theorie und Praxis - oder wie wir hier im Osten gesagt haben: Zwischen Marx und Murks. Ich weiß, dass ich mich dem stellen muss. Nur: Zum April hast Du hier eine neue Pastorin eingesegnet. Willst Du mich jetzt aussegnen? Das klingt so nach Beerdigung.

A.: Natürlich nicht! Aber z. B. entpflichten – Du MUSST jetzt nichts mehr tun, aber Du darfst noch – und Pastorin bleibst Du ohnehin (so lange Du es möchtest).

U.: mhm …

A.: Nun schwirre schon ab auf die Kanzel – oder hast Du nichts mehr zu sagen?

U.:   Na gut. J  Aber ich bleibe lieber hier unten – ich möchte ja nicht „von oben herab“ reden …

Neue Möglichkeiten zu leben und Frieden kommen von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, der für uns maßgeblich ist.                 Amen.

Liebe Anwesende,

gestern wurde ich am Telefon gefragt: „Freust Du Dich eigentlich auf den Gottesdienst morgen?“ und ich konnte ehrlichen Herzens sagen: „Inzwischen Ja! Ja, ich freue mich.“

Im April, als das eigentlich aktuell war, hätte ich das noch nicht gekonnt, denn es ist ja etwas dran, dass ich mich eigentlich irgendwie um diesen Abschied drücken wollte, weil eben jeder Abschied ein kleines Sterben ist und weh tut.

Heute ist das anders, weil nicht nur ein Lebensabschnitt zu Ende ging, sondern weil Neues, und für mich sehr Erfreuliches angefangen hat – und weil Wichtiges geblieben ist.

Loslassen und bewahren zugleich, Ende und Anfang.

Allerdings: Irgendwie lastet jetzt auf mir der Druck, ich müsse nun etwas ganz Bedeutsames und Kluges sagen – etwas zum Merken und Aufmerken – zum Abschied, der ja gar kein wirklicher Abschied ist. Denn es sind eben keine „letzten Worte“.      

Klar ist, ich bin nicht mehr die Pastorin von Thale, Warnstedt, Bad Suderode und Friedrichsbrunn – den Staffelstab im Pfarrbereich habe ich am Ostermontag weiter gegeben - aber ich bin und bleibe Pastorin und das gerne und bin dankbar für neue Herausforderungen und Aufgaben im Kirchenkreis und darüber hinaus – solange ich das kann und darf.

Normalerweise sitze ich unter den Bläser/innen – und das ist mir wichtig: Mitzublasen und vor allem Dazuzugehören. Ich möchte Teil einer Gemeinschaft sein, keine Einzelkämpferin. Aber heute gönne ich mir mal das Zuhören - dürfen.

Wendegedenken – Erinnerung an den Reformations-Abend vor 25 Jahren – damals wurden „Zeugnisse der Betroffenheit“ laut.

Ursprünglich wollte ich jetzt sagen, was mich heute betroffen macht. Dann ist mir noch rechtzeitig eingefallen, dass in unserem Land viel gejammert wird – und das meist auf sehr hohem Niveau. Das möchte ich nicht und habe auch keinen Grund dazu, vielmehr möchte ich am Ende einer langen Zeit im kirchlichen Dienst sagen, was mich dankbar macht.

Ich werde drei Kerzen der Dankbarkeit entzünden.

1. Die erste für das ehrenamtliche Engagement vieler Menschen, ohne das sehr vieles nicht möglich wäre - in den Kirchengemeinden – in den Kommunen – in Verbänden und Vereinen … über Parteigrenzen hinweg. Menschen, die nicht sagen „Was kriege ich dafür?“ und vor allem nicht: „Da kann man doch nichts machen“, sondern die sagen: „Da kann ICH was machen“ und das auch tun – zusammen mit anderen. Die nicht nur meckern und alles von anderen erwarten.

Dass viele den Mut haben, sich einzusetzen und kostenlos Zeit und Kraft opfern, auch wenn andere darüber den Kopf schütteln oder sich lustig machen, das finde ich einfach toll!

Mein Freund Erich Schweidler – er war Pfarrer an der St.Petri-Gemeinde und erster Nachwendebürgermeister in Thale – hat mir 1976 ins Gästebuch geschrieben: „Wer den Mut hat, sich unbeliebt zu machen, wer unbequem ist,  bringt die Entwicklung weiter. Mitmacher sind zwar bequem, aber langweilig.“

Sich anstößig zu verhalten bringt Anstöße – bringt in Bewegung – bringt weiter – macht die Welt etwas heller und wärmer, so wie diese Kerze.

2. Die zweite Kerze der Dankbarkeit entzünde ich für meine guten Erfahrungen mit der Ökumene – nicht nur aber auch hier in Thale.  Wir haben in den vergangenen Jahren vieles ganz unkompliziert gemeinsam gemacht, manchmal im Kleinen, dann auch im Größeren. Ich erinnere an den Ökumenischen Kreiskirchentag 2008, an die vielen Mitwirkenden beim Harzfest und 2009 beim Sachsen-Anhalt-Tag hier in Thale, bei den vielen Harzer Sommertagen, die wir ökumenisch gestaltet haben.

Viel Gemeinschaft und Gemeinsamkeiten konnte ich erleben bei den großen Ökumenischen Kirchentagen in Berlin und München, bei Katholikentagen und den großen evangelischen Kirchentagen und bei den Reformationstagen, die wir hier in Thale seit langem zusammen begehen – mit gemeinsamen fröhlichen Mahlzeiten.

Noch trennt uns evangelische und katholische Christen manches voneinander, doch es gibt viele Schritte aufeinander zu.  

Im September habe ich in Halberstadt an einer Ökumenischen Vesper teilgenommen aus Anlass des kirchlichen Festes für den Frieden und die Einheit der Kirche. Ein katholischer Geistlicher führte dazu aus:

Wichtig bleibt, dass der Glaube und das Mahl anderer Konfessionen nicht richtig oder falsch, sondern ehrlich, aber eben anders sind. Diese Erkenntnis ist eine tragfähige Grundlage für Gespräche, die keinen Einheitsbrei als Ergebnis wollen. Selbst wenn es immer noch nicht nach einer zeitnahen Lösung aussieht: "Der Mauerfall vor 25 Jahren kam auch unerwartet!"

Beifall bekam er für seinen Satz: „Freiheit muss ich mir NEHMEN.“  Die bekommen wir nicht auf einem Silbertablett serviert. Wenn das nicht hoffen lässt!

Dafür die zweite Kerze, bei der ich auch an den Satz denke, der mir schon in der DDR-Zeit wichtig geworden ist: „Es ist besser eine Kerze anzuzünden als über die Dunkelheit zu jammern.“

3. Die dritte Kerze ist deutlich größer als die beiden anderen und das ist natürlich kein Zufall. Ich bin in einem nichtkirchlichen Elternhaus aufgewachsen und habe als Jugendliche ersten Kontakt zu Kirche und Glauben gefunden. Dankbar bin ich für die Kraft des Glaubens – für die Einladung zur Freiheit und zum aufrechten Gang.

Ein Spruch von Theodor Storm, den ich von meinem Konfirmator gelernt habe, hat mich geprägt: „Der eine fragt: Was kommt danach? Der andre fragt nur: Ist es recht? Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.“

Ich wollte FREI sein und habe im Glauben Freiheit gefunden und die Erkenntnis gewonnen: Gottesfurcht schützt gegen Menschenfurcht. Ich denke an Paulus in der Gefängniszelle: Er war gefesselt und predigte dennoch FREI das Evangelium. – Ich lebte in einem Staat, der seine Bürger/innen einsperren musste, damit sie blieben …

Diesen Zustand konnten wir beenden – friedlich – ohne Gewalt – mit vielen kleinen Kerzen, auch hier bei uns in Thale.

Dafür diese dritte große Kerze. Danke für alles!

Heute meine Verabschiedung aus dem offiziellen Dienst. Aber ich bin und ich bleibe Pastorin. Als Christin lebe ich in dem Wissen, ein Geschöpf zu sein – verantwortlich für mein Leben, für alles Tun und für alles Lassen – und angewiesen auf Gemeinschaft.  

Gott gibt dem Menschen viele Möglichkeiten und setzt ihm hilfreiche Grenzen. Wer sich vor Gott verantwortlich weiß, geht verantwortlich mit der Schöpfung, mit den Mitmenschen, mit sich selbst um.  

Jesus ist uns ein Vorbild: Er war unbequem und anstößig – hatte keine Angst vor den Mächtigen und Geduld mit den Unvollkommenen. Er blieb ehrlich und riskierte es, sich unbeliebt zu machen. Mit seinen Maßstäben lässt es sich leben: „Gott ist der Mensch, der uns menschlicher macht.“

Zum Schluss ein Satz vom „Ehrenbürger der Herzen“ unserer Stadt, dem katholischen Pfarrer Wolfgang Janotta, den ich beim Abschied von den Gemeindekirchenräten im März zitiert habe:

„Ich habe getan, was ich konnte. Den Rest muss der liebe Gott erledigen.“

Wird er – er hat ja Sie und Euch! J

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, als alle Skepsis und Vorsicht, bewahre unsere Herzen und Gedanken, unseren Mut und unsere Phantasie in Jesus Christus, unserem Herrn.       Amen.

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Angelika Zädow:

Liebe Ursula, liebe Gemeinde,

nach 38 Jahren in Thale und 40 Jahren im kirchlichen Dienst wirst Du, liebe Ursula, heute aus diesem Dienst verabschiedet. Dass Du daran lange geknabbert hast, ist kein Geheimnis. Und ja, das ist sicher schwer, nach einer solchen Zeit alles „sein“ zu lassen, was vier Jahrzehnte tagtäglich das Leben und die Zeit prägte, den Tagesrhythmus vorgab, Herz und Verstand beschäftigte: Lektoren und Organistinnen für die Gottesdienste und Amtshandlungen zu finden, die Gemeindebriefe zu gestalten und den Beiträgen „hinterher“ zu laufen, Besuche zu machen, die Anfragen des Kreiskirchenamtes zu bedienen, Gruppen und Kreise zu organisieren und noch viel mehr. Das alles hört nun auf nach 40 Jahren.

Diese Zahl spielt übrigens in der Bibel immer wieder eine Rolle: 40 Tage und Nächte dauerte die Sintflut, 40 Jahre dauerte der Zug des Volkes Israel durch die Wüste, Mose weilt 40 Tage auf dem Berg Sinai, um die Gebote zu empfangen, der Prophet Elia geht 40 Tage und Nächte zum Berg Horeb und Jesus fastet 40 Tage in der Wüste.

So unterschiedlich diese Erzählungen sind -  zwei Dinge verbinden sie. Erstens: In dieser Zeit begegnen sie Gott. Und ich wünsche Dir und Ihnen, liebe Gemeinde, dass Sie im Nachdenken über die gemeinsame Zeit im Pfarrbereich Thale auch sagen können: Da gab es Momente und Augenblicke der Gemeinschaft, in denen wir uns des Glaubens sicher waren oder wurden.

Zweitens: Nach dieser Zeit veränderte sich das Leben der Menschen. Dieser Zeitpunkt ist nun für Dich, und Ihre Gemeinden gekommen. Sie alle haben eine neue Pastorin, die nun mit Ihnen Leben und Zeit im Pfarrbereich Thale gestaltet und auf dem Weg des Glaubens weiter geht, anknüpft an das was war und ganz andere Wege wagt.

Und du, liebe Ursula, wagst ja bereits andere Wege, hilfst Gemeinden im Kirchenkreis über die Zeit von Vakanzen hinweg. Hältst Gottesdienste und Amtshandlungen, organisierst und berätst. Der Rhythmus Deiner Zeit ist nun anders. Aber die Zeit an sich bleibt. Du hast nun die Freiheit, sie nach Deinen Wünschen nach Deiner Lust woanders zu gestalten und ohne Amtspflichten. Von Herzen wünsche ich Dir, dass Du diese Freiheit nutzen und Deine Zeit füllen kannst.

So Gott will, noch 40 Jahre, Amen.

 

Liebe Ursula,

vor Gott und dieser Gemeinde endet hiermit Dein Dienst im Pfarrbereich Thale, der Dir übertragen war. Alle Zuständigkeiten und Pflichten liegen nicht mehr in Deinen Händen. Was Dich in Deiner Arbeit beschwert hat, was unfertig blieb oder Sorgen macht, legen wir in die Hände Gottes, der allein aus allem ein Ganzes zu machen vermag. Nichts soll Dich beschweren, nichts soll Dich betrüben. Gott wird Dich tragen und begleiten auf Deinem weiteren Lebensweg.

 

Gebet:

Gott, Du Anfang und Ende der Zeit: Wir danken Dir für den Dienst von Pastorin Ursula Meckel, für die Zeit, die sie hier gewirkt hat. Und bitten Dich: Segne unsere Schwester im Glauben. Stärke sie mit Deinem Wort. Schenke ihr Mut und Zuversicht. Das bitten wir Dich durch Jesus Christus, der mit Dir und dem Heiligen Geist unserem Leben einen neuen Anfang schenkt. Amen.

Segen

Gott segne dir den Blick zurück und den Schritt nach vorn. Er schenke dir eine Melodie, die dich wie ein Lachen durch den Tag begleitet und Menschen, die ihre Arme um dich legen wie ein wärmender Mantel. So segne dich…