Für Interessenten eine bis vier  PREDIGT(en)                        

(Es ist nicht auszuschließen, dass ich auch mal den einen oder anderen Gedanken "übernommen" habe, ohne dies in jedem Fall ausdrücklich zu benennen.)  

Am 31. März 2014 endete mein Dienst im Pfarrsprengel Thale - 

seit dem 1. April 2014 bin ich Beauftragte für Springerdienste im Kirchenkreis Halberstadt.

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Gottesdienst 15. nach Trinitatis

17. September 2023

9.30 Uhr Heudeber – 17 Uhr Kroppenstedt

Evangelium = Predigttext:            Matthäus 6; 25 – 34

 

Neue Möglichkeiten zu leben kommen von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, der für uns maßgeblich ist.                   Amen.

Liebe Gemeinde,

im September werden in vielen Orten sogenannte Jubelkonfirmationen gefeiert - – Erinnerungen an die Zeit vor 25, 50, 60, 65 und manchmal sogar 70 oder 75 Jahren.

Was erzählt man sich so, wenn man sich tatsächlich erst nach vielen Jahren wiedersieht? Wenn Rückblick gehalten wird, Vergangenes in den Mittelpunkt gerät? ... Welche Begebenheiten stehen im Vordergrund – die schönen oder die schweren? – wird Lustiges hervorgeholt oder werden Sorgen mitgeteilt?

Meine Erfahrungen im normalen Alltag sind die, dass mehr von den Sorgen als von den Freuden geredet wird – vielleicht ist das ja allzu menschlich – Leid belastet und es will ja auch keiner mit Erfolgen angeben.

Das Evangelium des heutigen Sonntags spricht ebenfalls von Sorgen – und sagt dazu: Sorget nicht!

Das ist sehr viel leichter gesagt als getan. Es gehört Mut dazu, solche Sprüche öffentlich zu verkündigen.

Sorget nicht - ein Aufruf zur Sorglosigkeit - geht das? Ist es erstrebenswert?

Wer hat schon keine Sorgen oder macht sie sich? Bei der Frage würde sich gewiss niemand melden.

Es gibt ja auch ausreichend Gründe, besorgt zu sein - im privaten, im kirchlichen und im gesellschaftlichen Leben – nicht nur in der heutigen Zeit.

Den Christen ist lange vorgeworfen worden: Ihr kümmert euch um nichts - überlasst alles dem lieben Gott. 

Bis heute gehört unser Predigttext zu den bekannten Bibelworten, die gern zitiert werden: Sie säen nicht, sie ernten nicht, aber der himmlische Vater ernährt sie doch ...

allerdings werden sie zitiert mit einem Ton des Vorwurfs.

Dabei hat es durchaus Verlockendes an sich, wie die Vögel unter dem Himmel oder wie die Lilien auf dem Felde zu leben.

Die Werbebranche nutzt das aus - Versicherungen versprechen ein sorgenfreies Alter - Banken locken mit Sorglosigkeit als Folge geschickter Geldanlagen -

„Deine Sorgen möchte ich haben“, heißt es, wenn die einen über die anderen reden - denn natürlich hält jeder die eigenen Sorgen für die gewichtigsten.

Es hat Verlockendes an sich - die Vorstellung, frei zu sein von täglichen Sorgen, von Besorgungen, vom Planen für die Zukunft.

Die Vögel fliegen so leicht dahin und scheinen auf vieles zu pfeifen. Die Lilien müssen nicht nach passenden und schönen Kleidungsstücken herumrennen - verlockend ist das schon - ein sorgenfreies Leben.

Allerdings bei Lichte besehen haben es auch die Vögel und die Blumen nicht leicht - wie überall in der Natur gibt es ein Fressen- und Gefressenwerden - die Idylle täuscht.

Der Vergleich muss an anderer Stelle liegen. Jesus erwartet von uns bestimmt nicht, dass wir leben wie das liebe Vieh oder wie Unkraut.

Wenige Verse vorher steht, was ein Schlüssel zum Verständnis dieser Worte sein kann:

Euer Herz wird immer dort sein, wo ihr euren Reichtum habt.

Woran hängst du? Wovon lebe ich? Was ist wichtiger als alles andere?

Sicherheit? Besitz? Die Höhe des Bankkontos? Das Ansehen der Person?

Ältere haben erlebt, was mit Besitz passieren kann - viele haben alles verloren, was sie an materiellen Werten besaßen. Was blieb da übrig vom Leben? Diese Frage haben wir uns in den vergangenen Monaten auch oft gestellt – angesichts der schlimmen Umweltkatastrophen - was brauchen wir wirklich, was ist verzichtbar?

Unser Herz ist da, wo unser Schatz ist - wer nichts weiter hat als seinen äußeren Besitz, der hat ganz schlechte Karten.

Gott fragt uns nicht nach dem, was wir haben, sondern wie es bewertet wird und was damit geschieht. Es geht nicht um Verantwortungslosigkeit, sondern um übertriebenes Sorgen. Besitz kann besessen machen - d. h., unfrei für den morgigen Tag, für das heutige Leben.

Wer sich heute keine Zeit nimmt, um mit seinen Kindern zu spielen, mit ihnen etwas zu unternehmen - weil er für die Zukunft sorgt - dem kann geschehen, dass die Kinder verloren gehen. An ihnen wird besonders deutlich, dass materieller Besitz nicht das Entscheidendste ist - nicht das teure Spielzeug ist so wichtig - wichtiger ist die ihnen gewidmete und mit ihnen verbrachte Zeit.

Wofür nehmen Sie sich Zeit? Was mache ich mit meiner Zeit? Wofür bin ich total ausgebucht?

Sorgt nicht für morgen, sagt Jesus - es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat. Gott weiß, was ihr braucht.

Jesus hat uns als freie Menschen gewollt - er hat Freiheit gegeben und gelebt.

So höre ich das „Sorget nicht“ als eine Einladung, als Erlaubnis, als Befreiung. Es rückt die Dinge in die richtige Reihenfolge.

Wir brauchen Lebensmittel zum Leben - sie müssen Lebensmittel bleiben, dürfen nicht zum Lebenszweck werden. Das lässt nachts ruhiger schlafen.

Ich möchte mich den Sorgen des täglichen Lebens stellen - ich möchte mich nicht von ihnen erdrücken lassen. Mir hilft der Gedanke: Keiner von uns ist wie Atlas, der die Welt auf seinem Rücken zu tragen hatte. Wir brauchen nicht das Leid der ganzen Welt zu tragen - das tut ein anderer für uns.

Jesus will uns von Verbissenheit und Verkrampfung befreien - damit wir nicht vor lauter Vor-Sorgen unsere Gegenwart verlieren.

Er sagt, was das Wichtigste im Leben ist: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes - dann wird euch alles andere zufallen.

Nach Gottes Reich und Gerechtigkeit trachten - danach suchen - aufrecht zu leben -

das kann gelingen im ständigen Kontakt mit anderen Christen, im Gespräch mit Gott, mit Jesus, mit der Bibel.

Damit die Dinge des Lebens an die ihnen gemäße Stelle zurechtgerückt werden.

Ich möchte den Bibeltext als erneute Einladung nehmen, mich auf Jesus und seine guten, lebensbejahenden und lebensbewahrenden Maßstäbe einzulassen.

Ich glaube, es gibt mehr Chancen, sorglos zu leben, als genutzt werden. Das muss ja nicht so bleiben.

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, als alle Skepsis und Vorsicht, bewahre unsere Herzen und Gedanken, unseren Mut und unsere Phantasie in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

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   ErnteDankFest

    16. September 2023

     Harsleben - Schützenplatz

Lukas 8; 4 – 6

Liebe Anwesende,

in vielen Orten werden in diesen Tagen und Wochen Erntefeste gefeiert – hier ist es ein Herbstfest. Besonders schön finde ich, wenn ErnteDANKfeste gefeiert werden.

Danken hat etwas mit denken zu tun – nur wer nachdenkt, kommt auf die Idee, dass nicht alles selbstverständlich ist, was uns im Laufe eines Jahres oder unseres Lebens zugute kommt.

Erntedank ist ein schöner Anlass darüber nicht nur nachzudenken, sondern tatsächlich auch zu danken für alles, was unser Leben lebenswert und wertvoll und einmalig macht.

Gleichzeitig denke ich daran, dass Säen und Ernten sich nicht auf die Landwirtschaft beschränken, sondern sehr viel mehr beinhalten.

Mir fällt der kleine Junge ein, der einmal ganz energisch gesagt hat: „Nein, meine Eltern ziehen mich nicht groß – ich wachse von allein.“

Für mich ist faszinierend, wieviel Wahrheit und Weisheit in diesem Satz steckt. Wir leben alle von dem, was wir nicht selbst machen können – wir sind und bleiben angewiesen auf den Segen, der uns zuwächst.

Erntedankfest erinnert daran, dass Dank etwas mit Nachdenken zu tun hat. ErnteDANKfest erinnert daran, dass keineswegs selbstverständlich ist, was im Verlaufe eines Jahres gelingt – und anderes, das wir gerne festhalten würden, zerrinnt zwischen den Fingern und gelingt nicht.

Erntedankfest – wenigstens einmal im Jahr das Staunen darüber, dass noch frisches Wasser fließt, dass die Birnen reif werden – dass die Vögel singen – jede Blüte, die sich langsam öffnet, ist wie ein kleines Wunder.

Oder die Freude darüber, dass ein Streit zu Ende ging, der sich zermürbend in die Länge zog – dass eine Beziehung stabiler wurde – dass Gemeinschaft entstehen und wachsen konnte.

Erntedank kann so etwas sein wie ein Aufatmen, wenn der Dank aus dem Nachdenken kommt und Menschen erkennen, dass wir unser Leben nicht uns selbst verdanken.

Als Jesus unterwegs war hat er viele Geschichten erzählt, oft aus der Landwirtschaft. Eine davon aus dem Lukasevangelium haben wir gehört.

Erzählt ist aus der Sicht eines Menschen, der sich Mühe gibt und sich einsetzt. Er hat sein Saatgut ausgestreut, das Seine getan. Er hatte Ziele – hoffte auf Ertrag – und musste erleben, wie bedroht der Erfolg seiner Arbeit ist.

Vogelschwärme fressen, was er gesät hat – Menschen zertrampeln sein Feld – Steine liegen im Acker und Unkraut überwuchert die zarten Pflanzen.

Jesus beschönigt nichts. Er beschreibt das Leben mit seinen Härten und Enttäuschungen und Vergeblichkeiten. Ein Leben wie das von Eltern, die sich um Kinder kümmern; wie das von Mittvierzigern, die um ihre Arbeitsstelle fürchten; wie das von Älteren, die danach fragen, was aus ihnen wird.

Nichts wird zugedeckt, nichts soll verklärt werden. Traurigkeit darf Worte finden – Mutlosigkeit darf ausgesprochen werden und Gehör finden.

Es gibt viele Gründe darauf zu sehen, was zertreten wird – und was erstickt – und was aufgefressen wird.

Jesus schildert die harte Zeit des Wartens auf Wachstum oder Vergehen. Der Sämann sät für das Leben. Und in jedem Leben gibt es Erfolg und Misslingen, Ertrag und Scheitern.

Das gibt es genauso wie das Wissen: Nicht alle Mühe ist vergeblich; es gibt gute Ernten; Arbeit, die sich lohnt; Samen, der Frucht bringt.

Und so wird das Bild vom Sämann zu einem ermutigenden Bild:

Neben dem Scheitern gibt es Gelungenes. Wir müssen nicht aufgeben – wir können Pläne für die Zukunft machen und hoffen, dass einige von ihnen aufgehen und Frucht tragen.

Im bekanntesten Gebet der Christen – dem Vaterunser – heißt es:

„Unser tägliches Brot gib uns heute.“

Dabei ist „Brot“ ein Synonym für das, was wir zum täglichen Leben wirklich brauchen – und das ist mehr als nur der Belag für das Brot, eine Wohnung und Kleidung.

Menschen brauchen Gemeinschaft – Familie – Freunde - tragfähige Beziehungen. Wir brauchen Frieden, Gesundheit, auch eine gesunde Schöpfung und Gerechtigkeit.

Ich wünsche Ihnen das Staunen darüber, was es alles Schönes auf unserer Erde, in Gottes guter Schöpfung, gibt; dass wir alles haben, was wir zum Leben brauchen und in der Regel einiges darüber hinaus.

 

Wenn ich mir die Kataloge ansehen, die fast täglich in meinen Briefkasten  flattern, freue ich mich auch darüber, was ich alles nicht brauche und vielleicht geht es Ihnen ja ebenso.

Vor wenigen Tagen las ich den Satz: „Wer sich freut, dem fehlt die Zeit, sich zu ärgern.“

Ihnen allen einen erfreulichen Erntedankfesttag und ein fröhliches Herbstfest unter Gottes Segen. Amen

 

           

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Stadt-Gottesdienst  14. nach Trinitatis

10. September 2023 – 10 Uhr

Liebfrauen Halberstadt

 

Evangelium = Predigttext:                    Lukas 19; 1 – 10

Neue Möglichkeiten zu leben kommen von Gott, unserem Vater und Jesus Christus, der für uns maßgeblich ist. Amen.

Liebe Gemeinde,

die Geschichte von Zachäus kennen wir: Ein kleiner, reicher, zutiefst unsympathischer Mensch, der gut davon lebt, andere übers Ohr zu hauen und sich an ihnen zu bereichern.

Echte Freunde hat er folgerichtig nicht, höchstens welche, die an seinem Geld interessiert sind. Gesellschaftlich ist er geächtet, aber dennoch an seiner Umwelt interessiert. Deshalb möchte er den Mann sehen, von dem so viel geredet wird: Jesus.

Der körperlich kleine Zöllner hat eigentlich keine Chance, nahe an Jesus heranzukommen, doch er ist gewieft und ahnt, welchen Weg Jesus nehmen würde. Er sucht sich einen Maulbeerbaum, auf den er klettern und in dem er sich unauffällig verstecken kann. So ein Baum hat viele und dichte Blätter, so dass er praktisch fast unsichtbar ist.

Dann geschieht Unerwartetes: Er sieht Jesus nicht nur, sondern wird von ihm gesehen, mit seinem Namen angesprochen und Jesus lädt sich bei ihm ein – bei ihm, mit dem sonst niemand etwas zu tun haben will. Das verändert den Mann total.

Joachim Bauer ist ein Medizinprofessor aus Freiburg, der seit Jahren den Wunsch der Menschen nach Anerkennung erforscht.

"Neurobiologische Studien zeigen, dass nichts das Motivationssystem so sehr aktiviert, wie von anderen gesehen und sozial anerkannt zu werden", sagt er.

"Unser Gehirn giert nach Anerkennung", erklärt Bauer. "Alles, was wir tun, steht im Dienste des tiefen Wunsches nach guten zwischenmenschlichen Beziehungen.“ Das war offensichtlich schon vor 2000 Jahren so.

Aufgrund seines Lebensentwurfes blieb dem Zöllner solche Anerkennung verwehrt – bis zu der Begegnung mit Jesus. Der übersieht ihn nicht. Er blickt auf zu dem, auf den alle anderen herabsehen. Das gibt dem Verachteten eine Würde, von der er nicht einmal mehr geträumt hat.

Jesus spricht nicht nur mit ihm, sondern lädt sich zum Essen bei ihm ein; nicht nur damals eine hohe Form der Nähe und Zuwendung.

Das ist bis heute so geblieben. Wer lässt schon jeden x-Beliebigen in seine Küche und lädt ihn ein, sich dazu zu setzen?

Wenn einem Menschen gesagt und gezeigt wird: „Du bist mir wichtig, ich möchte Kontakt zu dir, so wie du bist, mit deinen Schwächen und deinen Stärken“ dann fühlt und ist dieser Mensch „angesehen“ und damit erhält er die Chance, sich zu ändern.

Zachäus hat seine genutzt: „Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.“ (Vers 6). Und nicht nur das: Er beschließt, die Hälfte seines Vermögens denen zu geben, die es nötig haben und von ihm Betrogene großzügig zu entschädigen. Er wird dadurch nicht arm, sondern gibt ab, was er nicht selbst braucht.

Aus einem hoffnungslosen Fall wird ein gemeinschaftsfähiger Mensch mit neuen Möglichkeiten zum Leben.

Eine hoffnungsvolle und mutmachende Geschichte. Davon stehen viele in der Bibel.

Ein Isolierter muss nicht isoliert bleiben. Aus einem ungeliebten Außenseiter wird ein Mit-Mensch, weil er sich verändern kann.

Ich glaube fest, dass so etwas auch heute unter uns möglich ist.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, als alle Skepsis und Vorsicht, bewahre unsere Herzen und Gedanken, unseren Mut und unsere Phantasie in Jesus Christus, unserem Herrn.       Amen.

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10. nach Trinitatis 2023

13. August 2023

10 Uhr St. Sylvestri Wernigerode

Neue Möglichkeiten zu leben kommen von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, der für uns maßgeblich ist.        Amen.                  

Liebe Gemeinde,

es gibt Tage im Leben eines Menschen, die nie vergessen werden – wo jede/r in der Regel noch nach Jahrzehnten weiß, was sie/er an diesem Tag gemacht hat.

Der 17. Juni 1953 wäre solch ein Tag. Für mich gilt das allerdings nicht, weil ich da gerade mal 3 Jahre alt war. Nur was danach kam, betraf mich direkt: Ich lebte mit meiner Mutter im Ostteil Berlins, die Großeltern im westlichen Teil. Und weil die Gefahr bestand, dass die Grenze geschlossen werden könnte, durfte ich nicht mehr bei ihnen wohnen.  

Zu den unvergesslichen Tagen für mich gehört der 13. August 1961.

Heute vor 62 Jahren: Ein schöner, warmer Sonnentag, mitten in den Ferien. Knapp zwölfjährig saß ich am Abend zusammen mit meiner Großmutter in Westberlin – hilflos, traurig, verzweifelt – die Mutter in Ostberlin und niemand wusste wie es weitergehen würde. Eigentlich war das alles nicht zu fassen – über Nacht war ein Stadtteil eingemauert worden – ein ganzes Volk wurde eingesperrt.

Dabei waren die Machthaber der DDR mit hohen Idealen angetreten – der Kommunismus sollte so etwas wie ein Paradies werden – alles da für alle – Gerechtigkeit und Frieden – doch: Es klappte nicht mit der versprochenen Seligkeit auf Erden.

Es waren zu viele und unrealistische Versprechen abgegeben worden – die Menschen wurden ungeduldig und hauten ab, weil sie keine Erfolge sahen. Weil es denen auf der anderen Seite wirtschaftlich so viel besser ging und weil sie es leid waren, Lügenmärchen anzuhören.

Es war nicht absehbar, dass die Mauer 28 Jahre lang Bestand haben würde. Und erst recht nicht, dass noch über 30 Jahre nach ihrem Fall Nachwirkungen zu spüren sein würden.

Genauso einschneidend der 9. November 1989. Wir hatten einen Gemeindeabend, danach saß ich heulend vor dem Fernseher, ungläubig, nicht fassen könnend, was geschah. Parallel zur Freude die Erinnerung an diejenigen, für die es für immer zu spät war!

Was sich da abspielte an bewegenden menschlichen Begegnungen war überwältigend echt. Auch das unerwartet – so viel Nähe nach dieser Trennung, soviel Solidarität und noch ohne jeden Hintergedanken. Diese Tage und Bilder möchte ich nicht missen!

Aufgehoben als historische Dokumente habe ich Zeitungen und Sonderausgaben – und noch immer im Ohr ist mir die die Stimme meiner Schwester aus Berlin auf dem Anrufbeantworter (sie wohnte direkt an der Grenze) am 10. November: „Mensch, die reißen die Mauer ein!“

Jetzt, 2023, wurde vielfach erinnert an den Volksaufstand von 1953, an die Vorgeschichte, die Tage der Begeisterung und das Ende.

Es wurde aufgezeigt, wie viele Verbrechen an der Menschlichkeit geschehen sind, wie viel verheimlicht und verschwiegen und wie viel gelogen wurde und wie viele Opfer es gab.

Von vielen Ungeheuerlichkeiten in der DDR wusste außer den Betroffenen kaum jemand etwas. So von der „Aktion Ungeziefer“. Menschen in unmittelbarer Grenznähe mussten innerhalb weniger Stunden ihre Häuser und ihre Heimat verlassen. Ich versuche mir vorzustellen, was ich da auf die Schnelle mitnehmen würde: Wichtige Papiere? Meine Kater? Fotoalben? Ein paar Klamotten? – Meine Phantasie versagt und macht mich sprachlos.

 

Als Kontrast habe ich eine Übertragung der Seligpreisungen aus der Bergpredigt von Jesus verlesen lassen. Jesus, der Menschen zu einem menschenwürdigen Leben einlädt und ihnen dazu Maßstäbe in die Hand und ins Herz gibt.

Verhaltensweisen, die den anderen achten, die auf Gewaltlosigkeit setzen, die anerkennen, dass der Mensch ein Geschöpf Gottes ist; verantwortlich für das was er tut oder auch unterlässt – verantwortlich vor Gott und den Mitmenschen.

 

Besonders beeindruckt mich: Jesus wirbt um jeden Einzelnen, er stellt die Schwachen ins Zentrum. Und deshalb gehören die Sätze der Bergpredigt auch zu dem, was ich nie vergesse.

Von Jesus lerne ich, was Freiheit heißt – Freiheit, zu der die Menschen berufen sind – Freiheit, die auch den anderen Freiheit zugesteht.

Die DDR-Regierung hat ihr Volk eingesperrt unter der Überschrift: Wir wollen ja nur dein Bestes.

Genau das sollte keine Regierung verlangen dürfen: Das Beste eines Menschen in Besitz zu nehmen und damit Schindluder zu treiben.

 

Mit Gewalt kann ich Menschen einschüchtern – aber nicht überzeugen. Mit Gewalt kann ich Angst erzeugen – aber keine Liebe. Mit Gewalt kann ich Menschen unterdrücken – aber nicht für immer.

Ich weiß nicht, wie viele Menschen am Bau der Mauer beteiligt waren – wie viele mitgemacht, mit gemauert, sie bewacht haben – aus Überzeugung oder aus Angst.

Ich versuche manchmal mir vorzustellen: Was wäre gewesen, wenn alle die Maurer und Handwerker und Soldaten gesagt hätten: Da mache ich nicht mit!

Das Argument dagegen lautet: Einer allein kann da ja doch nichts machen.

Sicher – einer nicht – aber viele.

Mir macht Angst, wie schnell Unrecht vergessen wird – wie leicht sich Schuld auf andere abwälzen lässt – wie oft sich herausgeredet wird: Da kann man ja doch nichts machen. Das scheint oft so, aber es stimmt nicht.

„Da kann man ja doch nichts machen.“ Ich habe den Wunsch, dass immer mehr Menschen diesen Satz aus ihrem Wortschatz streichen und stattdessen nicht nur sagen: „Da kann man doch was machen.“ sondern viel deutlicher: „Da kann ICH was machen – und ich tue es und suche mir dazu Verbündete – über Parteigrenzen hinweg.“

In seiner viel beachteten Ansprache vom 8. Mai 1985 zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sagte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker:

„Jüngere und Ältere müssen und können sich gegenseitig helfen zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wachzuhalten.  Es geht nicht darum, die Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie lässt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.

Soweit das Zitat.

Weil wir das nicht wollen, haben wir uns hier versammelt – in einer Kirche – im Angesicht Gottes. Deshalb gibt es diese Ausstellung.

 

Es bleibt wichtig, dass wir erinnern – an das Unrecht – an die Opfer – daran, wie leicht Menschen zu Tätern werden können.

Es ist notwendig, sich an die Vergangenheit zu erinnern – sie nicht zu verklären - dankbar zu sein für die gewonnene Freiheit - und Freude darüber wach zu halten, dass ein System zusammengebrochen ist, das Terror für ein Mittel der Überzeugung hielt.

Wozu erinnern wir uns? Allein der Mahnung wegen?  Für ein NIE WIEDER?

Meine Antwort: Ich finde Sicherheit in dem, was ich erlebt habe. Deshalb lasse ich es nicht los. Es gehört zu mir, macht mich zu dem, was ich heute bin. Ich möchte aufmerksam bleiben und aufmerksam machen in der Hoffnung, dass sich so etwas nicht wiederholt.

Die Maßstäbe von Jesus ermutigen auch heute, wo wir nicht mehr eingesperrt sind, aber anderen Zwängen unterliegen:

Zivilcourage darf kein Fremdwort sein. Es ist möglich, ungerechte Verhältnisse zu ändern, wenn Menschen ihre Angst hinter sich lassen und aufrecht gehen – so wie Gott es gewollt hat – und so wie es im Frühling des Herbstes 1989 war.

Es ist auch heute notwendig, sich gegen manches zu wehren – es zu hinterfragen – und Gott sei Dank können wir das heute tun ohne Angst haben zu müssen, dafür eingesperrt zu werden.

Mitmachen statt Meckern! Mitreden statt Nichtwählen! Nicht mit alten und neuen Nazis auf die Straße gehen und sie nicht wählen, die nur wissen, wogegen sie sind, aber keine wirklichen Alternativen haben.

Ein Freund hat mir 1976 zu meinem Dienstantritt in Thale ins Gästebuch geschrieben:

„Wer den Mut hat, sich unbeliebt zu machen, wer unbequem ist, bringt die Entwicklung weiter. Mitmacher sind zwar bequem, aber langweilig.“

Mein Wunsch für uns alle: Seien wir nicht langweilig! Scheuen wir uns nicht davor, uns unbeliebt zu machen. Sich anstößig zu verhalten bringt Anstöße – bringt in Bewegung – bringt weiter.

Es tut gut, sich das gegenseitig zu sagen – und gemeinsam aufmerksam unterwegs zu bleiben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, als alle Skepsis und Vorsicht, bewahre unsere Herzen und Gedanken, unseren Mut und unsere Phantasie in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

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Eröffnungsandacht

 Evangelisches Gemeindezentrum Thale 

22. Februar 2020 um 10 Uhr

Dialog Einweihung Gemeindeanbau St. Petri Thale

Ursula Meckel & Thomas Thiede

Ursula: Verehrte Anwesende, liebe Festgemeinde,

als ich ca. 2015 davon erfuhr, dass ein Anbau an der St.Petri-Kirche geplant ist, schossen mir sofort drei Gedanken durch den Kopf:

-          1. Das ist niemals genehmigungsfähig - denn da gibt es die obere, untere und mittlere Denkmalsschutzbehörde – und vermutlich noch diverse andere Instanzen und Behörden, die mitzureden haben.

-          2. Das ist nie und nimmer finanzierbar – ich habe zwar keine Ahnung von den wirklichen Kosten, aber ich bin sicher: Ganz bestimmt nicht von den beiden kleinen Kirchengemeinden hier in Thale.

-          3. Es kann mir eigentlich auch egal sein, weil ich das ganz sicher ohnehin nicht erleben werde.

Nun ja – so kann man sich irren.

Der Bau wurde genehmigt, die Finanzierbarkeit wurde geklärt – es fehlt zwar noch einiges für die Innenausstattung – und ich lebe noch.

Nun ist eine weitere und viel wichtigere Frage offen: Wird der Anbau angenommen von den Menschen, für die er konzipiert ist –

also: Werden sich hier Menschen treffen und miteinander ins Gespräch kommen, diskutieren, kreativ sein, singen, blasen, tanzen, filzen, malen – ein wirkliches Kultur- und Begegnungszentrum?

Das wird die kommende Zeit bringen und ich kann es nur hoffen und wünschen, damit das Engagement, auch das finanzielle, nicht vergeblich war.

Allerdings: Ich höre auch viel Skepsis und Kritik – „Was habt ihr denn da mit unserer schönen Kirche gemacht?“ – „Das passt doch überhaupt nicht dahin!“ – usw. usf.

Thomas: (vom Bläserplatz aus) Aber das ist doch klar. Immer, wenn etwas Neues entsteht sind sofort diejenigen auf der Matte, denen das nicht gefällt. (kommt nach vorne)

Dabei haben wir als Gemeindekirchenrat es uns nicht leicht gemacht. Als 2014 klar war, dass wir unser Gemeindehaus auf der anderen Straßenseite nicht erhalten und auch nicht behalten können, waren wir nicht nur traurig, sondern auch geschockt und ziemlich verzweifelt.

Na klar, hätten wir uns einfach hinsetzen und weinen und uns bedauern können, aber wir wollten nach vorn sehen und überlegen, wie es weitergehen kann. Es gibt so ein schönes Bibelwort: „Wer seine Hand an den Pflug legt und schaut zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes.“

Ursula: Also, ihr wollt hier das Reich Gottes aufbauen?

Thomas: Naja, nicht ganz so vollmundig. Wir möchten, dass sich hier Menschen treffen und begegnen können, etwas miteinander erleben und gestalten. Und nicht nur evangelische Christen, sondern alle Menschen, denen Kultur wichtig ist – deshalb heißt es ja „Kultur-und Begegnungszentrum“. Und dass Kultur wichtig ist, wird ja wohl niemand ernsthaft bezweifeln. Schau dir doch nur an, was gerade in der Politik so läuft – wie respektlos da miteinander umgegangen wird – wie oft Andersdenkende übereinander reden, aber nicht miteinander – sich gegenseitig austricksen - einander verteufeln anstatt sich zuzuhören.

Ursula: Das ist leider wahr. Aber wie wollt ihr das mit diesem Anbau ändern? Soll hier ein Diskutierclub entstehen, wo Menschen unter Anleitung lernen, wie man kulturvoll miteinander umgeht.

Thomas: Natürlich nicht. Oder vielleicht auch? Mal sehen. Auf jeden Fall wollen wir die Möglichkeit geben, dass Menschen etwas gemeinsam erleben – schon das verbindet ja und baut Berührungsängste ab. Beim gemeinsamen Tun kommt man sich näher – oder auch, wenn man sich miteinander erfreut, zum Beispiel an schöner Musik oder gemeinsam einen Film ansieht und sich darüber austauscht, Theater spielen oder anschauen, Lesungen und unterschiedliche Workshops.

Es gab schon mal ein Format, das „Kreuz und quer“ hieß, eine Veranstaltungsreihe mit verschiedenen Angeboten – das möchten wir wieder beleben. Die ersten Termine sind schon geplant.

Ein großer Vorteil des Anbaus ist, dass er barrierefrei gestaltet wurde, also auch für Menschen mit Handicap zugänglich ist, niemand ausgegrenzt wird.

Wir – nicht nur diejenigen vom Gemeindekirchenrat - sind jedenfalls gespannt und neugierig, wie es hier weitergeht – bzw. erst richtig los geht.

Ursula: Mir fällt auch noch ein Bibelwort ein:

„Denn siehe, ich will ein Neues machen; jetzt soll es aufwachsen - erkennt ihr es nicht?“

Da lädt der alte Prophet Jesaja dazu ein, genau hinzusehen wo etwas Neues wächst, darüber zu staunen und es zu pflegen.

Thomas: Genau das haben wir vor – hinsehen, staunen, pflegen – Menschen aktivieren und einladen, nicht nur Thalenser, sondern auch die vielen Touristen, die in unsere Stadt kommen.

Ursula: Übrigens – weißt du, was das hier ist? (Raupe zeigen)

Thomas: Nicht wirklich, sieht aus wie ne olle Raupe.

Ursula: Genau – das Wertvolle und Schöne daran ist zunächst nicht zu sehen – weil es noch inwendig ist:

(Raupe entfalten zum Schmetterling)

Thomas: Wow! So oder jedenfalls so ähnlich stelle ich mir die Zukunft von unserem Kultur- und Begegnungszentrum vor.

Beide:             Amen.

Lied:   Komm, bau ein Haus …      Blatt                                                 Chor, Bläser

 

Wir bitten um Gottes Segen:

Ursula Meckel: Herr, segne unsere Hände, dass sie behutsam seien,

dass sie halten können, ohne zu Fesseln zu werden,

dass sie geben können ohne Berechnung,

dass ihnen innewohnt die Kraft, zu trösten und zu segnen.

 

Thomas Thiede: Herr, segne unsere Augen, dass sie Bedürftigkeit wahrnehmen,

dass sie das Unscheinbare nicht übersehen,

dass sie hindurchschauen durch das Vordergründige,

dass andere sich wohlfühlen können unter unseren Blicken.

 

Steffi Andrä: Herr, segne unsere Ohren, dass sie deine Stimme zu erhorchen vermögen.

dass sie hellhörig seien für die Stimme der Not, dass sie verschlossen seien für Lärm und Geschwätz, dass sie das Unbequeme nicht überhören.

 

Kristin Heyser: Herr, segne unsere Münder, dass sie dich bezeugen,

dass nichts von ihnen ausgehe, was verletzt und zerstört,

dass sie heilende Worte sprechen, dass sie Anvertrautes bewahren.

 

Stefan Ehrhardt: Herr, segne unsere Herzen, dass sie Wohnstatt seien deinem Geist,

dass sie Wärme schenken und bergen können,

dass sie reich seien an Verzeihung, dass sie Leid und Freude teilen können.

 

Ursula Meckel: Herr, segne dieses Haus, dass es offen sei für alle Menschen guten Willens,

dass wir einander zuhören und unterschiedliche Meinungen ertragen,

dass wir voneinander lernen und miteinander feiern können,

dass wir spüren können, wie Himmel und Erde sich berühren.

Amen

 

Musik: „Trumpet Tune“ Bläserklänge S. 292                                                               Bläser

 

 

 

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14. Mai 2017 - 40 Jahre Ordination - Thale St. Andreas

   

                                      

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Gottesdienst 31. Oktober 2014

Wendegedenken – Reformation – Verabschiedung Pastorin Ursula Meckel

Liebe Versammelte,

heute vor 25 Jahren um diese Zeit war ich sehr viel aufgeregter als heute – in zweieinhalb Stunden würde hier in dieser Kirche eine Veranstaltung beginnen, von der niemand sagen konnte, wie sie ausgehen würde – wie viele kommen würden – ob es friedlich bliebe. Einige entschlossene Bürger/innen hatten eingeladen zu einem „Gebet für Land und Leute“ - … ein heute völlig harmloser Text, damals  staatsgefährdend gefährlich – die Handzettel wurden schnell entfernt, doch es hatte sich herumgesprochen.

Etliche sind jetzt hier, die damals auch dabei waren – um viele Erfahrungen reicher.

An diesen Reformationstag vor 25 Jahren erinnern wir.

Reformationstag – ein evangelischer Feiertag, den wir hier in Thale seit vielen Jahren ökumenisch begehen – so auch heute – ein zweiter Grund zur Dankbarkeit, weil das keineswegs überall selbstverständlich möglich ist.

Der dritte Anlass dieses Gottesdienstes: Nach 40 Jahren im kirchlichen Dienst werde ich verabschiedet - von den Kirchengemeinden und vom Kirchenkreis – entpflichtet vom Amt? – von der Pflicht zur Kür? – beziehungsweise verabschiede ich mich? - oder auch nicht?

Schaun wir mal.

Auf jeden Fall feiern wir jetzt einen Gottesdienst mit ganz viel Musik und dafür bin ich dankbar; dankbar allen, die ihn mit ausgestalten – und dazu gehören auch Sie alle hier, die zum Mitsingen eingeladen sind.

Dankbar bin ich vor allem dafür, dass wir uns versammelt haben im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Hilfe erwarten wir von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

Chor + Gemeinde: Wo Menschen sich vergessen …

Gott, wir treten jetzt vor Dich mit unseren Erinnerungen, unseren Wünschen, unseren Befürchtungen und unseren Hoffnungen. Wir schauen zurück und nehmen Abschied – wir blicken nach vorn und haben Träume.

Ich möchte bewahren, was gut war in den vergangenen Jahrzehnten. Denn vieles war wunderschön, erfrischend, aufregend, überraschend neu – dafür danke ich, das will ich nicht missen.

Loslassen und bewahren - beides. Gott, gib mir den Mut, die Hände zu öffnen, um Altbekanntes loszulassen. Gib mir den Mut, die Hände zu öffnen und die Arme auszubreiten, um Neues, Unbekanntes zu begrüßen.

Gott, ich danke Dir, dass ich getragen bin von der Hoffnung, gehalten zu werden -  beflügelt von dem Glauben, dass Du Dich kümmerst - auch um mich. Begeistert von dem Glauben, dass Du da bist.

Du hältst die Zeit liebevoll in Deinen Händen. Du bist ewig. Gestern und heute und morgen. Kein Anfang, kein Ende. Die Zeiten kommen und gehen - Du bleibst und rufst zum Leben im Vertrauen auf Dich und Deine beständige Gegenwart. Du bist auch jetzt mitten unter uns. Das ist Grund, sich zu freuen – deshalb:

Jauchzet dem Herrn alle Welt!

Amen.

Chor + Bläser:     Psalm 100

Lesung = Prediger 3; 1 - 13                                   

Meine Hoffnung …

                Credo                                                        

Bläser:                 La nuit

PREDIGT-Einstieg

U.:     Sag mal bitte,  Angelika, findest Du nicht auch, dass das heute hier eine etwas seltsame Veranstaltung ist?

A.:     Wieso seltsam? Es ist ein schöner Gottesdienst in einer vollen Kirche mit aufmerksamen Menschen, viel Musik und guter Stimmung. Und weil aller guten Dinge drei sind, gibt es drei inhaltliche Schwerpunkte: Wende-Gedenken, Reformation und Deine Verabschiedung.

U.:     Wende-Gedenken und Reformation sind klar – aber meine Verabschiedung? Mein Dienst hier im Pfarrbereich endete schon vor sieben Monaten. Ich wohne weiter in der Gemeinde und gehöre zum Bläserchor und in der Stadt bleibe ich ebenfalls, sogar im Stadtrat. Und: Im Kirchenkreis und selbst darüber hinaus geht meine Arbeit weiter. Also was für ein Abschied?

A.: Kann es sein, dass Du Dich um einen Abschied drücken willst?

U.: mhm … Also, mein ältester Patensohn hat mir geschrieben: „Ruhestand KANNST Du gar nicht.“

A.: Weiche nicht aus! Kann es sein, dass Du Dich drücken willst vor dem Abschied? Weil das weh tut?

U.: mhm …

A.: Bisher hast Du das ja ganz geschickt geschafft – denn Dein Dienst im Pfarrbereich Thale endete ja bereits am 31. März – wie Du weißt…

U.: Und Du weißt: Jeder Abschied ist ein kleines Sterben.

A.: Gehts auch etwas weniger theatralisch? - Du weißt: Alles hat seine Zeit … steht doch so schön auf der Einladung: …

U.: Das ist wohl der Unterschied zwischen Theorie und Praxis - oder wie wir hier im Osten gesagt haben: Zwischen Marx und Murks. Ich weiß, dass ich mich dem stellen muss. Nur: Zum April hast Du hier eine neue Pastorin eingesegnet. Willst Du mich jetzt aussegnen? Das klingt so nach Beerdigung.

A.: Natürlich nicht! Aber z. B. entpflichten – Du MUSST jetzt nichts mehr tun, aber Du darfst noch – und Pastorin bleibst Du ohnehin (so lange Du es möchtest).

U.: mhm …

A.: Nun schwirre schon ab auf die Kanzel – oder hast Du nichts mehr zu sagen?

U.:   Na gut. J  Aber ich bleibe lieber hier unten – ich möchte ja nicht „von oben herab“ reden …

Neue Möglichkeiten zu leben und Frieden kommen von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, der für uns maßgeblich ist.                 Amen.

Liebe Anwesende,

gestern wurde ich am Telefon gefragt: „Freust Du Dich eigentlich auf den Gottesdienst morgen?“ und ich konnte ehrlichen Herzens sagen: „Inzwischen Ja! Ja, ich freue mich.“

Im April, als das eigentlich aktuell war, hätte ich das noch nicht gekonnt, denn es ist ja etwas dran, dass ich mich eigentlich irgendwie um diesen Abschied drücken wollte, weil eben jeder Abschied ein kleines Sterben ist und weh tut.

Heute ist das anders, weil nicht nur ein Lebensabschnitt zu Ende ging, sondern weil Neues, und für mich sehr Erfreuliches angefangen hat – und weil Wichtiges geblieben ist.

Loslassen und bewahren zugleich, Ende und Anfang.

Allerdings: Irgendwie lastet jetzt auf mir der Druck, ich müsse nun etwas ganz Bedeutsames und Kluges sagen – etwas zum Merken und Aufmerken – zum Abschied, der ja gar kein wirklicher Abschied ist. Denn es sind eben keine „letzten Worte“.      

Klar ist, ich bin nicht mehr die Pastorin von Thale, Warnstedt, Bad Suderode und Friedrichsbrunn – den Staffelstab im Pfarrbereich habe ich am Ostermontag weiter gegeben - aber ich bin und bleibe Pastorin und das gerne und bin dankbar für neue Herausforderungen und Aufgaben im Kirchenkreis und darüber hinaus – solange ich das kann und darf.

Normalerweise sitze ich unter den Bläser/innen – und das ist mir wichtig: Mitzublasen und vor allem Dazuzugehören. Ich möchte Teil einer Gemeinschaft sein, keine Einzelkämpferin. Aber heute gönne ich mir mal das Zuhören - dürfen.

Wendegedenken – Erinnerung an den Reformations-Abend vor 25 Jahren – damals wurden „Zeugnisse der Betroffenheit“ laut.

Ursprünglich wollte ich jetzt sagen, was mich heute betroffen macht. Dann ist mir noch rechtzeitig eingefallen, dass in unserem Land viel gejammert wird – und das meist auf sehr hohem Niveau. Das möchte ich nicht und habe auch keinen Grund dazu, vielmehr möchte ich am Ende einer langen Zeit im kirchlichen Dienst sagen, was mich dankbar macht.

Ich werde drei Kerzen der Dankbarkeit entzünden.

1. Die erste für das ehrenamtliche Engagement vieler Menschen, ohne das sehr vieles nicht möglich wäre - in den Kirchengemeinden – in den Kommunen – in Verbänden und Vereinen … über Parteigrenzen hinweg. Menschen, die nicht sagen „Was kriege ich dafür?“ und vor allem nicht: „Da kann man doch nichts machen“, sondern die sagen: „Da kann ICH was machen“ und das auch tun – zusammen mit anderen. Die nicht nur meckern und alles von anderen erwarten.

Dass viele den Mut haben, sich einzusetzen und kostenlos Zeit und Kraft opfern, auch wenn andere darüber den Kopf schütteln oder sich lustig machen, das finde ich einfach toll!

Mein Freund Erich Schweidler – er war Pfarrer an der St.Petri-Gemeinde und erster Nachwendebürgermeister in Thale – hat mir 1976 ins Gästebuch geschrieben: „Wer den Mut hat, sich unbeliebt zu machen, wer unbequem ist,  bringt die Entwicklung weiter. Mitmacher sind zwar bequem, aber langweilig.“

Sich anstößig zu verhalten bringt Anstöße – bringt in Bewegung – bringt weiter – macht die Welt etwas heller und wärmer, so wie diese Kerze.

2. Die zweite Kerze der Dankbarkeit entzünde ich für meine guten Erfahrungen mit der Ökumene – nicht nur aber auch hier in Thale.  Wir haben in den vergangenen Jahren vieles ganz unkompliziert gemeinsam gemacht, manchmal im Kleinen, dann auch im Größeren. Ich erinnere an den Ökumenischen Kreiskirchentag 2008, an die vielen Mitwirkenden beim Harzfest und 2009 beim Sachsen-Anhalt-Tag hier in Thale, bei den vielen Harzer Sommertagen, die wir ökumenisch gestaltet haben.

Viel Gemeinschaft und Gemeinsamkeiten konnte ich erleben bei den großen Ökumenischen Kirchentagen in Berlin und München, bei Katholikentagen und den großen evangelischen Kirchentagen und bei den Reformationstagen, die wir hier in Thale seit langem zusammen begehen – mit gemeinsamen fröhlichen Mahlzeiten.

Noch trennt uns evangelische und katholische Christen manches voneinander, doch es gibt viele Schritte aufeinander zu.  

Im September habe ich in Halberstadt an einer Ökumenischen Vesper teilgenommen aus Anlass des kirchlichen Festes für den Frieden und die Einheit der Kirche. Ein katholischer Geistlicher führte dazu aus:

Wichtig bleibt, dass der Glaube und das Mahl anderer Konfessionen nicht richtig oder falsch, sondern ehrlich, aber eben anders sind. Diese Erkenntnis ist eine tragfähige Grundlage für Gespräche, die keinen Einheitsbrei als Ergebnis wollen. Selbst wenn es immer noch nicht nach einer zeitnahen Lösung aussieht: "Der Mauerfall vor 25 Jahren kam auch unerwartet!"

Beifall bekam er für seinen Satz: „Freiheit muss ich mir NEHMEN.“  Die bekommen wir nicht auf einem Silbertablett serviert. Wenn das nicht hoffen lässt!

Dafür die zweite Kerze, bei der ich auch an den Satz denke, der mir schon in der DDR-Zeit wichtig geworden ist: „Es ist besser eine Kerze anzuzünden als über die Dunkelheit zu jammern.“

3. Die dritte Kerze ist deutlich größer als die beiden anderen und das ist natürlich kein Zufall. Ich bin in einem nichtkirchlichen Elternhaus aufgewachsen und habe als Jugendliche ersten Kontakt zu Kirche und Glauben gefunden. Dankbar bin ich für die Kraft des Glaubens – für die Einladung zur Freiheit und zum aufrechten Gang.

Ein Spruch von Theodor Storm, den ich von meinem Konfirmator gelernt habe, hat mich geprägt: „Der eine fragt: Was kommt danach? Der andre fragt nur: Ist es recht? Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.“

Ich wollte FREI sein und habe im Glauben Freiheit gefunden und die Erkenntnis gewonnen: Gottesfurcht schützt gegen Menschenfurcht. Ich denke an Paulus in der Gefängniszelle: Er war gefesselt und predigte dennoch FREI das Evangelium. – Ich lebte in einem Staat, der seine Bürger/innen einsperren musste, damit sie blieben …

Diesen Zustand konnten wir beenden – friedlich – ohne Gewalt – mit vielen kleinen Kerzen, auch hier bei uns in Thale.

Dafür diese dritte große Kerze. Danke für alles!

Heute meine Verabschiedung aus dem offiziellen Dienst. Aber ich bin und ich bleibe Pastorin. Als Christin lebe ich in dem Wissen, ein Geschöpf zu sein – verantwortlich für mein Leben, für alles Tun und für alles Lassen – und angewiesen auf Gemeinschaft.  

Gott gibt dem Menschen viele Möglichkeiten und setzt ihm hilfreiche Grenzen. Wer sich vor Gott verantwortlich weiß, geht verantwortlich mit der Schöpfung, mit den Mitmenschen, mit sich selbst um.  

Jesus ist uns ein Vorbild: Er war unbequem und anstößig – hatte keine Angst vor den Mächtigen und Geduld mit den Unvollkommenen. Er blieb ehrlich und riskierte es, sich unbeliebt zu machen. Mit seinen Maßstäben lässt es sich leben: „Gott ist der Mensch, der uns menschlicher macht.“

Zum Schluss ein Satz vom „Ehrenbürger der Herzen“ unserer Stadt, dem katholischen Pfarrer Wolfgang Janotta, den ich beim Abschied von den Gemeindekirchenräten im März zitiert habe:

„Ich habe getan, was ich konnte. Den Rest muss der liebe Gott erledigen.“

Wird er – er hat ja Sie und Euch! J

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, als alle Skepsis und Vorsicht, bewahre unsere Herzen und Gedanken, unseren Mut und unsere Phantasie in Jesus Christus, unserem Herrn.       Amen.

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Angelika Zädow:

Liebe Ursula, liebe Gemeinde,

nach 38 Jahren in Thale und 40 Jahren im kirchlichen Dienst wirst Du, liebe Ursula, heute aus diesem Dienst verabschiedet. Dass Du daran lange geknabbert hast, ist kein Geheimnis. Und ja, das ist sicher schwer, nach einer solchen Zeit alles „sein“ zu lassen, was vier Jahrzehnte tagtäglich das Leben und die Zeit prägte, den Tagesrhythmus vorgab, Herz und Verstand beschäftigte: Lektoren und Organistinnen für die Gottesdienste und Amtshandlungen zu finden, die Gemeindebriefe zu gestalten und den Beiträgen „hinterher“ zu laufen, Besuche zu machen, die Anfragen des Kreiskirchenamtes zu bedienen, Gruppen und Kreise zu organisieren und noch viel mehr. Das alles hört nun auf nach 40 Jahren.

Diese Zahl spielt übrigens in der Bibel immer wieder eine Rolle: 40 Tage und Nächte dauerte die Sintflut, 40 Jahre dauerte der Zug des Volkes Israel durch die Wüste, Mose weilt 40 Tage auf dem Berg Sinai, um die Gebote zu empfangen, der Prophet Elia geht 40 Tage und Nächte zum Berg Horeb und Jesus fastet 40 Tage in der Wüste.

So unterschiedlich diese Erzählungen sind -  zwei Dinge verbinden sie. Erstens: In dieser Zeit begegnen sie Gott. Und ich wünsche Dir und Ihnen, liebe Gemeinde, dass Sie im Nachdenken über die gemeinsame Zeit im Pfarrbereich Thale auch sagen können: Da gab es Momente und Augenblicke der Gemeinschaft, in denen wir uns des Glaubens sicher waren oder wurden.

Zweitens: Nach dieser Zeit veränderte sich das Leben der Menschen. Dieser Zeitpunkt ist nun für Dich, und Ihre Gemeinden gekommen. Sie alle haben eine neue Pastorin, die nun mit Ihnen Leben und Zeit im Pfarrbereich Thale gestaltet und auf dem Weg des Glaubens weiter geht, anknüpft an das was war und ganz andere Wege wagt.

Und du, liebe Ursula, wagst ja bereits andere Wege, hilfst Gemeinden im Kirchenkreis über die Zeit von Vakanzen hinweg. Hältst Gottesdienste und Amtshandlungen, organisierst und berätst. Der Rhythmus Deiner Zeit ist nun anders. Aber die Zeit an sich bleibt. Du hast nun die Freiheit, sie nach Deinen Wünschen nach Deiner Lust woanders zu gestalten und ohne Amtspflichten. Von Herzen wünsche ich Dir, dass Du diese Freiheit nutzen und Deine Zeit füllen kannst.

So Gott will, noch 40 Jahre, Amen.

 

Liebe Ursula,

vor Gott und dieser Gemeinde endet hiermit Dein Dienst im Pfarrbereich Thale, der Dir übertragen war. Alle Zuständigkeiten und Pflichten liegen nicht mehr in Deinen Händen. Was Dich in Deiner Arbeit beschwert hat, was unfertig blieb oder Sorgen macht, legen wir in die Hände Gottes, der allein aus allem ein Ganzes zu machen vermag. Nichts soll Dich beschweren, nichts soll Dich betrüben. Gott wird Dich tragen und begleiten auf Deinem weiteren Lebensweg.

 

Gebet:

Gott, Du Anfang und Ende der Zeit: Wir danken Dir für den Dienst von Pastorin Ursula Meckel, für die Zeit, die sie hier gewirkt hat. Und bitten Dich: Segne unsere Schwester im Glauben. Stärke sie mit Deinem Wort. Schenke ihr Mut und Zuversicht. Das bitten wir Dich durch Jesus Christus, der mit Dir und dem Heiligen Geist unserem Leben einen neuen Anfang schenkt. Amen.

Segen

Gott segne dir den Blick zurück und den Schritt nach vorn. Er schenke dir eine Melodie, die dich wie ein Lachen durch den Tag begleitet und Menschen, die ihre Arme um dich legen wie ein wärmender Mantel. So segne dich…