13. Juni 2002
Ratssitzung Thale
Ehrenbürgerschaft  

 

 

 

Sehr geehrte Frau Sieker, sehr geehrter Herr Bürgermeister, verehrte Anwesende,

eine Laudatio – also eine Lobrede – über sich selbst zu hören, hat immer etwas Peinliches. Dennoch nehme ich die Ernennung zur Ehrenbürgerin durch die Stadt Thale heute gern an.

Ich empfinde diese Ehrung als eine stellvertretende – für alle diejenigen, die im Herbst 1989 – und davor! – den Mut hatten, sich öffentlich gegen ein Unrechtsregime zu stellen, sich Gefahren ausgesetzt haben und Zivilcourage bewiesen.

Eigentlich müssten hier vorn noch etliche andere stehen – allen voran Peter Knopf.

Eine oder einer allein hätte nichts bewirken und verändern können.

Im Herbst 1989 gab es einen Aufbruch, der unser Land verändert hat. Es waren erhebende Momente – und dem Höhenflug folgte schnell eine ernüchternde Talfahrt – die sogenannten „Mühen der Ebene“ begannen.

Vor 1989 habe ich oft den Satz gehört „Das kann man ja doch nichts machen.“ Was ich schlimm finde: Ich höre ihn auch heute  wieder. Und dann werden Ungerechtigkeiten widerstandslos hingenommen und demokratische Grundrechte nicht wahrgenommen.

Ich habe den Wunsch, dass immer mehr Menschen diesen Satz aus ihrem Wortschatz streichen und stattdessen nicht nur sagen: „Da kann man doch was machen.“ sondern viel deutlicher: „Da kann ICH was machen – und ich tue es auch und suche mir dazu Verbündete – über Parteigrenzen hinweg.“

Am Reformationstag, dem 31. Oktober 1989 haben sich in der St. Petri – Kirche Tausende versammelt um zu sagen und zu zeigen: So lassen wir nicht mehr mit uns umgehen – das machen wir nicht mehr mit. „Zeugnisse der Betroffenheit“ wurden laut.

Auch heute gibt es Gründe, betroffen zu sein – drei möchte ich benennen:

  1. Mich macht betroffen, dass sich zu wenige Bürger/innen einmischen – mitmachen – mitdenken – für die Belange unserer Stadt und unserer Gesellschaft.
  2. Mich macht betroffen, dass zu viele nur meckern, alles von anderen erwarten und selbst nichts tun für das Wohl der Stadt und der Gesellschaft.
  3. Mich macht betroffen, wie viele sich nicht einmal dazu aufraffen können, von dem Wahlrecht Gebrauch zu machen, das uns zu DDR – Zeiten verwehrt war.

Ich habe auch Wünsche – und möchte ebenfalls drei benennen:

1.  Dass viele den Mut haben, sich unbeliebt zu machen: „Mitmacher sind zwar bequem    aber langweilig“ –  so hat es mir ein Freund 1976 ins Gästebuch geschrieben. Sich anstößig zu verhalten bringt Anstöße – bringt in Bewegung – bringt weiter.

2.     Dass es immer besser gelingt, mit Andersdenkenden kulturvoll und fair umzugehen und das Wohl der Allgemeinheit im Blick zu haben.

3.     Dass immer mehr Menschen sich einfach freuen an dem, was gelingt und das auch zum Ausdruck bringen: Die Grundsteinlegung am Dienstag für das neue Stadtzentrum war so ein Zeichen.

Wir haben in Thale eine Quelle – die Hubertusquelle. Lange war sie vergessen – noch lange kann sie nicht genutzt werden – und das ist schade.

Ich glaube, dass in vielen Menschen Quellen angelegt und nur verborgen sind, die versiegen, weil sie nicht genutzt werden. Und das ist mindestens genauso schade.

Ich bin Pastorin, und das gerne. Als Christin lebe ich in dem Wissen, ein Geschöpf zu sein – verantwortlich für mein Leben, für alles Tun und für alles Lassen – und angewiesen auf Gemeinschaft.

Ein Geschöpf Gottes zu sein bedeutet:

Gott gibt dem Menschen viele Möglichkeiten und setzt ihm hilfreiche Grenzen. Wer sich vor Gott verantwortlich weiß, geht verantwortlich mit der Schöpfung, mit den Mitmenschen, mit sich selbst um.

Und: Gott lädt ein zum aufrechten Gang. Wie das geht konnte im Herbst 1989 neu gelernt werden.

Ich bedanke mich nochmals für die Ehrung durch Sie. Ich empfinde sie als Ermutigung – für alle, die sich einsetzen – und sich dadurch aussetzen! -  die sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen – die zusammen mit anderen nach gangbaren Wegen suchen.

Zum Schluss der Satz eines Theologen, der mir wichtig  geworden ist:

 „Man kann das Leben nur rückwärts verstehen,

aber leben muss man es vorwärts.“

Sören Kierkegaard

So hoffe und wünsche ich, dass wir – Christen und Nichtchristen – in unserer Stadt gemeinsam vorwärts leben.

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